Ich fürchte wir haben uns verleiten lassen von der eigentlichen Frage abzukommen.
Diese war "Gelingt der Evolution noch ein entscheidender Fortschritt beim Homo Sapiens",
damit meinte ich schon eine Entwicklung, welche deutliche Unterschiede (Verbesserungen)
im Bereich Sensorik oder Hirnleistung darsstellen und nicht nur eine Variante der
bestehenden Art ist.
Na ja, eigentlich lautet das Theama des Threads ob der Mensch am Ende seiner Evolution angekommen ist - und die Forschungsarbeit von Dr. Virpi Lummaa belegt das dies nicht der Fall ist. Und sie ist nicht die einzige die zu diesem Schluss gekommen ist - der deutsche Evolutionsbiologe Alexandre Courtiol ist auf der gleichen Grundlage zu den gleichen Schlüssen gekommen. Hier mal ein Auszug aus einem Spiegel Artikel über Courtiols Erkenntnisse:
Der Starke frisst den Schwachen, der langlebige Gesunde kann seine Gene besser verbreiten als der kurzlebige Kranke: Diese Regeln, so glauben Menschen gern, gelten in der Tierwelt - nicht aber für die Menschheit, zumindest nicht jenen Teil, der in den Genuss moderner Medizin kommt. Die Evolution des Homo sapiens wäre in diesem Fall gewissermaßen zum Stillstand gekommen.
Doch das ist ein Trugschluss, wie ein internationales Forscherteam um Alexandre Courtiol vom Wissenschaftskolleg zu Berlin glaubt. "Menschen entwickeln sich auch in der Neuzeit weiter, genauso wie andere Lebewesen", schreiben die Wissenschaftler
im Fachblatt "Proceedings of the National Academy of Sciences". Es sei ein Fehler zu denken, dass man die menschliche
Evolution nur verstehen könnte, wenn man Steinzeitmenschen analysiere.
Auch der Stern urteilt so:
Im Ergebnis seien auch in dieser vergleichsweise modernen Gesellschaft evolutionäre Kräfte à la Darwin am Werke gewesen: Ein Teil der Finnen schaffte es, deutlich mehr Kinder und damit längerfristig mehr Nachkommen zu haben als andere. «Genau das verstehen wir unter Selektion», sagt der Forscher. «Es gab sie also auch bei den Menschen der Neuzeit.» Es gebe auch andere Studien, die bereits in die Darwin-Richtung zielten und die Annahme stützten, dass das Prinzip der Evolution auch auf den Menschen anwendbar ist und nicht allein für die Tier- und Pflanzenwelt gilt.
Die Selektion und damit die Evolution wirkt also nach wie vor auf den Menschen, belegen lässt sich das, wie die Evolutionsbiologen ausführen, mit der deutlich erkennbaren Varianz der Population. Ohne Selektion gebe es eben keine nennenswerte Varianz - aber die Analyse ergab ebe etwas ganz anderes:
Das eindeutige Resultat überrascht: Frühere Versuche, eine noch wirksame Selektion beim Menschen mit ähnlichen Methoden zu belegen, endeten ohne sichere Erkenntnisse. Bisher hatte man dabei aber nur den Fortpflanzungserfolg von einzelnen erwachsenen Individuen in einer Generation ausgewertet, nie aber den Lebensweg und Fortpflanzungserfolg einer Linie über die Generationen hinweg, geben Lummaa und Kollegen zu bedenken. Dies könne ein Resultat erheblich verfälschen: Nachkommen, die sterben, bevor sie selbst sich fortpflanzen, gehen in eine solche Auswertung nicht mit ein; damit würden aber rund 60 Prozent der gesamten Population gar nicht erfasst und die eigentliche Fitnessvarianz der Gruppe nicht richtig errechnet.
Es ist ja auch nicht so das diese Wissenschaftler sich das ausgedacht hätten - sie haben Forschungsergebnisse in anerkannten wissenschaftlichen Magazinen veröffentlicht. Wenn ihre Analyse oder ihre Schlussfolgerungen falsch sind, wird die globale Gemeinde der Evolutionsbiologen das unweigerlich aufdecken. Bis die Ergebnisse dieser Forscher daher wissenschaftlich widerlegt wurden, kann es nur einen Schluss geben: Evolution findet auch beim modernen Menschen unweigerlich statt!
Ich persönlich denke nicht, dass Zahlen aus dem 18. und 19. Jahrhundert in die
heutige Zeit portierbar sind.
Da hast Du natürlich recht - heutzutage müsste die Selektion noch stärker sein. Du spielst zwar auf Verhütung (und Abtreibung) an, aber ich denke die Effekte eines längeren Lebens und einer weniger strengen Moral überwiegen diesen Effekt bei weitem. Außerdem sind Verhütung und Abtreibung keine Erfindungen der Moderne - die Menschen wussten seit jeher wie sie Schwangerschaften verhindern oder abbrechen konnten. Und wie man dem
Spektum der Wissenschaft Artikel entnehmen kann, ist die Selektion sogar bei monogamen Geschellschaften mit nur einer Partnerwahl eindeutig nachweisbar - der logische Schluss ist, dass die Selektion in unserer Gesellschaft, mit mehreren Partnerwahlen, umso wirksamer ist.
In jedem Fall haben die beteiltigten Forscher bereits angekündigt jetzt moderne Daten auszuwerten - mit Freuden werde ich in ein, zwei Jahren hier ein Update zu dem Thema posten...
Im
Spektrum der Wissenschaft gibt es dazu einen weiteren Artikel, deer leider nicht mehr kostenlos zugänglich ist, der nahelegt das die menschliche Evolution nicht nur nicht gestoppt, sondern sich in den letzten 40.000 Jahren erst so richtig beschleunigt hat:
Anthropologie: Beschleunigte Evolution des Menschen - Spektrum.de
Ich denke die Frage dieses Threads ist damit recht eindeutig beantwortet - zumindest bis diese Forschungsarbeiten wissenschaftlich widerlegt wurden.
Quellen:
Evolution: Darwins Auslese gilt auch für moderne Menschen der Neuzeit - SPIEGEL ONLINE
Darwins Evolutionsprinzipien gelten auch für die Moderne | STERN.DE
Anthropologie: Beschleunigte Evolution des Menschen - Spektrum.de