Der Name ist schon angebracht: Man will Wissenschaftler werden.
Will man das wirklich? Ich bin der Meinung, dass 95% der Studierenden keine Wissenschaftler werden wollen. Die studieren, weil sie durch ihr Abitur das Privileg dazu bekommen haben und weil man mit einem normalen Berufsabschluss in der Regel deutlich weniger verdient. Und eben darum geht es auch nur: Man will nicht forschen, man will arbeiten, Geld verdienen, sterben. Und dafür ist der Bachelor nicht geeignet, da er an den falschen Bedürfnissen ausgerichtet ist. Nicht für die Wissenschaft studieren wir, sondern fürs Geld. So traurig es sich anhören mag, leider ist alles andere inzwischen romantische Träumerei.
Einen Wissenschaftler der Informatik, der mir sagt er habe keine Ahnung von Numerik, kann ich nicht ernst nehmen.
Ein Numeriker ist kein Informatiker und der ist nunmal kein Psychologe. Ein Informatiker mit der Schnittstelle zur Wirtschaft (beispielsweise im recht jungen Bereich Management in der Informationssicherheit) braucht primär keine tieferen Kenntnisse in der Numerik, trotzdem ist er Informatiker. Die Auswahl der sogenanten Grundlagen ist eine rein subjektive Entscheidung der jeweiligen Person oder des Fachgebiets, geht aber erfahrungsgemäß nicht über die Grenzen eines (Bundes-)Landes hinaus, wenn man mal von den "üblichen Verdächtigen" (Automatentheorie, ..) absieht. In der Wissenschaft mögen die Grundlagen weiterhin auch anders aussehen, als in der Wirtschaft (obwohl der Gros der Absolventen in der Wirtschaft Fuß fasst). Und hier liegt auch das Problem: Das Studium soll alles ermöglichen, aber es ist zu beschränkt, um irgendein Ziel zu erreichen. Durch den Bachelor zwängst du alles noch in ein enges Korsett und verschulst das Ganze, um am Ende jegliche Versuche zur Spezialisierung zu unterbinden. Wer es schafft hat höchstens im Master dazu Zeit - 3 oder 4 Jahre nach Studiumsbeginn. Aber das Ziel wurde erreicht: Alle sind gleich. Innovation? Wer braucht schon Innovation. Dafür ist keine Zeit. Oder wie viele Bachelorstudierende studieren auch mal andere Fachbereiche, die keine CPs einbringen? Informatik in der Politik? Wie soll das jemals gehen, wenn man es "nicht studieren kann"? Selbstverantwortung? Das habe ich mal in der Schule gehört. Damals hat man sich noch schöne Geschichten erzählt, dass in der Uni alles freier wird und man selbst Entscheidungen treffen darf/muss. Was für ein Trugschluss..
Ich kenne auch genügend BAfÖG-Empfänger, die dir ein Lied davon singen können, wie schwer es ist, die Regelstudienzeit einzuhalten und gleichzeitig mal nach links oder rechts zu schauen. Damit schliesst du zukünftige Wissenschaftler und Querdenker aus, obwohl du doch die Grundlagen nach Ihnen definiert hast. Klares Zeichen von fehlgeschlagener Anforderungsdefinition.
(Willst du einen Automechaniker, der dir super dein Öl wechseln kann, dir dabei erzählt er habe keine Ahnung, wie man Autoreifen wechselt?)
Solange er mein Öl wechselt ist mir das ziemlich egal, ob er Reifen wechseln kann, da Reifen für ihn erstmal nichts mit der Tätigkeit des Öl-wechselns zu tun haben. Wenn er mein Öl dafür in 20 Sekunden durch sein selbstentwickeltes Hochleistungs-ulta-super-Kühl-und-Schmier-Öl gewechselt hat, weil er den Ölkreislauf meines hochkomplexen Autos wie kaum ein anderer kennt, dann habe ich durch ihn sogar Geld gespart, bin zufrieden und alle sind glücklich. Wen interessieren jetzt noch die Reifen?
Für Praktiker gibt es Ausbildungen und als Zwischending den B.Eng..
Gute Ausbildungen sind, was die Vermittlung von qualitativ hochwertigen Informationen anbelangt, doch eher selten. Gleichzeitig ist es Ausgebildeten immernoch untersagt an einer Universität zu studieren und ihr Wissen damit zu vertiefen, obwohl sie ein konkreteres Bild von ihrem Fach haben, als dies beispielsweise bei den meisten BWL-Anfängern der Fall ist. Wenn wir jetzt noch zu den Gehalts- und Aufstiegsunterschieden schielen, wird auch klar, warum für die meisten Abiturienten ein Studium der einzig "sinnvolle" Weg zu sein scheint (auch wenn es nicht immer der Richtige ist..).
Der B.Eng ist meines Wissens auch nur in der technischen Informatik möglich. Warum existiert der B.Eng. noch nicht in der Software-Entwicklung (die wahrscheinlich noch die größte Schnittstelle zwischen Wissenschaft und Wirtschaft darstellt..) oder in der praktischen IT-Security? Welcher Master-Absolvent, der noch keine Erafhrung in der Wirtschaft sammeln konnte, kann denn heute ein SIEM-System konfigurieren? Warum kann ich einen Abschluss nicht nach meinen Studieninhalten wählen, sondern muss mich auf einen Abschluss mit vordefiniertem Studienplan mit komischen, oft (berufs-)realitätsfernen Inhalten bewerben?
Das ist doch paradox. Ich kann ein breites Grundlagenwissen haben, aber solange es nicht dem Verständnis des Fachbereichs oder des Bundeslandes entspricht, bekomme ich dies nicht bescheinigt. Ein schönes Szenario stellen Grundlagenkurse im letzten Viertel eines Studiums dar: Warum muss ein Studierender ums Verrecken in den formalen Grundlagen eine realitätsferne, vom Professor selbstentwickelte Sprache lernen und mit dieser Algorithmen beschreiben, obwohl er mit seinem Studium fast fertig ist und sein Wissen gerne in der Wirtschaft anwenden würde? Diese Versteifung treibt viele Studierenden in problematische Situation, denn ohne Grundlagenkurs kein Bachelor und ohne Bachelor kein Master. Und ohne Master?
Ja, man ist hinterher besser auf dieses Spezialgebiet vorbereitet, kommt aber bei Arbeitsplatzmangel nicht so leicht davon weg. Wenn du ein einfacher Unternehmessklave der auf maximale Projekteffektivität getrimmt wird, dann sind B.Sc., M.Sc. und übrigens auch ein Dr. nicht das richtige für dich.
Ich finde es leicht befremdlich, dass du auf der einen Seite von Unternehmenssklaven, auf der anderen Seite von Arbeitsplatzmangel sprichst. Ich muss kein Unternehmenssklave sein, um mich neutral mit einem bestimmten Gebiet auseinandersetzen, oder um mir existentente Produkte anschauen zu dürfen. Und der Arbeitsplatzmangel ist prinzipiell erstmal mein Problem, soviel sollte man Studierenden zumuten können. Mit Selbstverantwortung und Spaß an der Materie hat Uni leider nicht mehr viel zu tun.
Auch im Sinne von Life-long Learning ist eine Spezialisierung in der Uni, d.h. innerhalb von 5 Jahren, keine Spezialisierung mehr, da sie nur einen sehr kleinen Teil der Ausbildung überhaupt ausmacht. Damit ist es einem hochspezialisierter "Unternehmenssklaven" immernoch möglich, eine Sklaventreiberposition (Manager) zu bekleiden.
Ich finde es allerdings kruios, dass du lernen musstest, wie ein menschliches Auge funktioniert.
Das ist die Definition der Grundlagen: Die Funktion des Auges ist essentiell in Hinblick auf Mensch-Computer-Interaktion und mennschliche Wahrnehmung, oder auch ganz fern im Bereich der Medizininformatik.
Bei euch bewerten Professoren die Klausuren? Das ist bei uns eine Seltenheit. Ich hab bisher nur unter einer Matheklausur eine Professorenunterschrift gesehen. Rest Doktoranden und sonstige wiss. Mitarbeiter.
Bewerten nicht, unterrichten schon. Und das war/ist manchmal unter aller Sau, vor allem in langeweiligen Grundlagenkursen. Daher halte ich von manchen Professoren auch nicht besonders viel.
Ich empfinde diese Breite als sehr befreiend, da sie mir viele Möglichkeiten öffnet.
Das ist super, wenn dir am Anfang deines Studiums noch nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll. Studierende, die ihre Richtung schon kennen, haben haufenweise Müll, der sie bei der Erreichung ihres "Ziels" hindert. Warum soll es für sie nicht auch möglich sein die Kurse so zu wählen, dass ein sinnvoller Studienplan am Ende inkl. einer Reihe an Grundlagenveranstaltungen dabei heraus kommt? Letzten Endes wäre ein höherer Freiheitsgrad in der Studiengestaltung von Studierendenseite wünschenswert, z.B. auch in Hinblick auf Lerngewohnheiten. Wir leben nicht mehr in den 50er Jahren, wir leben im 21. Jhd, heutzutage gibt es Kameras, die Veranstaltungen aufzeichnen (ich frage mich ernsthaft, warum deutsche Unis hierbei so elendig langsam reagieren..). Wir haben Lernsysteme (hier hat jeder Fachbereich sein eigenes *sic*), wir haben alles, um heutzutage einen Studierenden perfekt ausstatten und unterstützen zu können. Aber wir wollen nur Generalisten, wir wollen Arbeiter und Lemminge, die wir zur Not auch in anderen Gebieten einsetzen können. Unternehmenssklaven sozusagen. Die Entwicklung von Universitäten zu Unternehmen und Dienstleistern wirst auch du nicht verneinen können.