[TdW 107] Die Europawahl: Chance oder Show?

Einen Tag vor der Europawahl in Deutschland, kann sich das TdW natürlich nur mit diesem Thema befassen. Tatsächlich hat die Europawahl diesmal schon im Vorfeld für viel Gesprächsbedarf gesorgt, zum einen weil das Bundesverfassungsgericht die Drei-Prozent-Hürde gekippt hat und kleine Parteien somit gestärkt wurden, was uns direkt zum nächsten Punkt bringt: Ein weiteres Gesprächsthema sind nämlich Rechtspopulisten und Europaskeptiker, die nach der Euro-Dauerkrise in allen Ländern Europas einen regelrechten Boom zu haben scheinen. Und, zumindest so weit ich weiß, haben sich erstmals die Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten (obwohl sie gar nicht direkt gewählt werden) den EU-Bürgern in direkten TV Duellen präsentiert.
Vor diesem Hintergrund stellt das TdW die Frage: Ist die Europawahl eine echte Chance auf demokratische Mitbestimmung oder handelt es sich nur um eine Polit-Show, die dazu dient dem Wahlvieh die Illusion von Mitbestimmung zu vermitteln?

Mehr zum Thema:
Europawahl 2014 | bpb
https://de.wikipedia.org/wiki/Europäisches_Parlament
 
Es ist Augenwischerei. Gewählt werden darf ein Europa-Parlement, das sich seine Gesetzgebungsverantwortung mit dem Europarat teilt. Nun kann man aber auch auf Wikipedia nachlesen:

Von erstrangiger Bedeutung für das Zustandekommen von Rechtsakten ist stets die Entscheidungsfindung im Rat der EU.

Wir dürfen also ein Parlament wählen, das nicht mal die Gesetzgebung in der EU kontrolliert sondern lediglich abnickt oder ablehnt. Eigene Gesetzinitiativen kann das Parlament nicht einbringen. Das obliegt dem Europarat.
 
Und, zumindest so weit ich weiß, haben sich erstmals die Kandidaten für das Amt des Kommissionspräsidenten (obwohl sie gar nicht direkt gewählt werden) den EU-Bürgern in direkten TV Duellen präsentiert.

Das ist ja auch die die erste Wahl seit dem Vertrag von Lissabon, der dies erst ermöglicht hat: Der oder die Kommissionspräsident/in wird vom Europäischen Rat (d.h. den Regierungs- und Staatschefs und -chefinnen) vorgeschlagen und vom Europäischen Parlament gewählt. Merkel und Co. könnten sich also noch für einen anderen Präsidenten oder eine andere Präsidentin entscheiden und eine andere Person vorschlagen. Sie sind bei ihrer Entscheidung nicht an die Verteilung der Sitze im europäischen Parlament gebunden, was oft noch vergessen wird. D.h. obwohl die Sozialdemokraten die Wahl gewinnt, könnte Juncker Kommissionspräsident werden.

Ob Merkel und Co. diesen Bruch begehen werden und damit risikieren, dass sich die EU-Gegner einen noch stärkeren Zulauf bekommen könnten, kann man meiner Ansicht nach aber bezweifeln. In diesem Sinne ist die Wahl heute auch ein Sieg für die Demokratie, da dem Volk die Möglichkeit gegeben wird, direkt auch über den Kommissionspräsidenten oder -präsidentin mit zu bestimmen oder zumindest seine Meinung nachhaltig zur Geltung zu bringen.
 
SchwarzeBeere hat gesagt.:
Ob Merkel und Co. diesen Bruch begehen werden und damit risikieren, dass sich die EU-Gegner einen noch stärkeren Zulauf bekommen könnten, kann man meiner Ansicht nach aber bezweifeln.
Ich hoffe sehr das Du recht hast, denn man konnte bereits in einigen Zeitungen lesen das Merkel & Co. den Vertrag von Lissabon so interpretieren, dass sie das Wahlergebnis bei ihrer Entscheidung lediglich "berücksichtigen" sollen und Sigmar Gabriel polterte vorsichtshalber schon einmal los:
Nach dem Wahlgang Ende Mai drohe eine massive „Volksverdummung“ und eine „Zerstörung der europäischen Demokratie“, wetterte Gabriel bei einer Veranstaltung mit dem SPD-Spitzenkandidaten Martin Schulz in Berlin.
[...]
Und genau das ist der Grund für den Furor Gabriels. Der SPD-Boss fürchtet einen Hinterzimmer-Deal der EU-Chefs, bei dem sein Kandidat Schulz durchs Rost fallen könnte. „Ich kann nur jeden davor warnen, das überhaupt zu probieren. Dann können wir die nächste Europawahl absagen“, wetterte Gabriel. Denn die Bürger, die im guten Glauben zur Wahl gingen, endlich einmal den nächsten Kommissionschef wählen zu können, würden so getäuscht.
Leider spricht manches dafür, dass dieser Wahlbetrug längst beschlossene Sache ist. Jedenfalls häufen sich die Indizien dafür in Brüssel.
Quelle: Spitzenduo Schulz und Juncker - Merkel torpediert die Europawahl | Cicero Online
 
Dem kann sich aber das Europäische Parlament entgegen stellen, da sie es sind, die den/die Kommissionspräsidenten/in bestätigen müssen. Letzten Endes geht es also zu wie bei der Bundestagswahl auch: Solange der oder die zukünftige Kommissionspräsident/in eine Mehrheit hinter sich versammeln kann, ist alles gut. Aus dem Grund ist es wichtig, dass jeder zur Wahl geht, denn nur so erreicht man eine möglichst hohe Legitimierung des Europäischen Parlaments, des oder der Kommissionspräsidenten/in und damit implizit auch der Kommission, die zwischen Kommissionspräsident/in und Europäischem Rat ausgehandelt und vom Parlament bestätigt werden muss. Die Wahl des oder der Kommissionspräsidenten/in bestimmt also in vielerlei Hinsicht die demokratische Legitmierung der gesamten EU - ein weiterer Grund, warum hier Hinterzimmer-Tächtelmächtel nicht zielführend, sondern vielmehr destruktiv sind. Meiner Ansicht nach ist das auch einer der Gründe, warum wir einen oder eine Kommissionspräsidenten/in direkt oder indirekt (z.B. direkt durch das Eu. Parlament) wählen können sollten, was de facto heute noch nicht gegeben ist, aber von allen großen Parteien befürwortet wird (von SPD/CDU wird sogar die direkte Wahl befürwortet laut Wahl-O-Mat.).

Und wo du gerade den Cicero zitierst: Die aktuelle Karikatur ist auch sehr passend:
sakurai-merkel-kommissionspraesident.jpg
 
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