[TdW 126] Wird Deutschland ein zwei Parteienstaat?

Diesmal beschäftigt sich das TdW mit der deutschen Parteienlandschaft, die schon seit Gründung der BRD von den beiden sogenannten Volksparteien, also der SPD und der CDU, dominiert wird. Daneben gab es aber immer auch kleine Parteien, die als Königsmacher einen überdurchschnittlich großen Einfluss (durch Regierungsbeteiligung) hatten. Man denkt da natürlich direkt an die FDP, die es schaffte als kleine Partei auf fast 50 Jahre Regierungsbeteiligung zu kommen. Weniger bekannt ist die Deutsche Partei (DP), eine rechtskonservative Partei, die bis 1961 der CDU geführten Adenauer-Regierung angehörte. In den 80ern erschienen die Grünen, ursprünglich als Turnschuh-Partei verspottet, auf dem politischen Parkett und brachten frischen Wind in den Bundestag (der damals noch in Bonn tagte). Wenn man so darüber nachdenkt ist man fast versucht eine Regel aufzustellen: Kleine Parteien kommen, erleben eine Zeit der Blüte und verschwinden dann wieder in der Bedeutungslosigkeit. So erging es zumindest der DP, auch die FDP scheint nach einer sehr langen Blütezeit nun diesen Weg gegangen zu sein und bei den Piraten erlebten wir diesen Zyklus praktisch im Zeitraffer (wobei ihre Blütezeit nur in guten Ergebnissen bei einigen Landtagswahlen bestand). Die Grünen scheinen jedoch derzeit drauf und dran zu sein der DP und der FDP in den Abgrund zu folgen. Der momentane Star der kleinen Parteien ist zweifellos die AfD, bei der jedoch noch alles offen ist: Es ist duchaus möglich das sie sich in Zukunft als Königsmacher etablieren kann, ebenso ist es möglich das sie an ihren inneren Konflikten zerbricht und sich, wie die Piraten, als Strohfeuer erweist... Die Linken habe ich bei der Betrachtung der kleinen Parteien ein wenig außen vor gelassen (obwohl sie dier stärkste Oppositionspartei ist), denn bislang erschien es eher ausgeschlossen das die Partei eine Regierungsbeteiligung erringen kann. Zum einen kämpft die Partei noch immer mit dem Makel der Vorgängerpartei SED, zum anderen ist sie so etwas wie ein regionales Phänomen: Im Osten schon fast eine Volkspartei, im Westen praktisch bedeutungslos. Vielleicht wird sich jetzt, mit dem ersten Ministerpräsidenten der Linken, an diesem Sonderstatus etwas ändern.
Die einzige Konstanten in der deutschen Parteienlandschaft sind also die beiden Volksparteien (wobei die SPD spätestens seit der Agenda 2010 angeschlagen ist). Die FDP und die Piraten haben sich bereits selbst zerlegt, doch in Zeiten einer übermächtigen großen Koalition fällt es auch den kleinen Parteien in der Opposition schwer sich zu profilieren. Die Grünen scheinen darauf vor allem mit Ratlosigkeit zu reagieren, einerseits versucht man mit Verzweiflungsmaßnahmen das eigene Image aufzupolieren (weg von der Bevormundungspartei) und diverse Standpunkte aufzugeben, andererseits toben die jahrzehntelangen Grabenkämpfe zwischen Fundis und Realos unvermindert weiter.
Für die Linke könnte die GroKo eine Chance sein, doch wie ich oben schon erwähnt habe, scheinen für die Partei nach wie vor andere Regeln zu gelten als für die anderen Parteien. Wenn sie die Altlasten abschütteln kann und in der Wahrnehmung eine ganz normale Partei werden kann, dann dürfte sie in Zukunft vermutlich noch eine bedeutende Rolle spielen - gelingt ihr das nicht, bleibt sie Nischenpartei und Wahlalternative für linke Idealisten.
Droht Deutschland also endgültig zu einem zwei Parteienstaat zu werden? Oder droht gar eine dauerhafte GroKo-Diktatur?
 
tl;td-Antwort: Nein.

Ausführlichere Antwort (und ich hoffe, ich bekomme das heute Nacht hin..): Die unterschiedlichen im Volk vertretenen Meinungsgruppen fühlen sich meiner Wahrnehmung nach von den heute im Bundestag und in den Landtagen vertretenden Parteien zunehmends nicht mehr vertreten. Das macht sich leicht an der Wahlbeteiligung bemerkbar, aber auch am fehlenden Zulauf neuer Mitglieder oder an der Zahl der Parteiaustritte in den letzten Jahren, die kontinuierlich angestiegen ist. Das führt zwangsläufig zu existenzgefährdenden Problemen, z.B. vom strategischen Aufbau potentieller Politikerinnen und Politiker bis hin zur operativen Finanzierung der Parteienarbeit. Die Piraten stehen ja bekanntlich vor dem Problem, dass sie zwar Politik machen, aber dafür kein Geld ausgeben wollen. Chronische Unterfinanzierung und Unzufriedenheit, Wechsel von Personen, Hin- und Her bei der Themenwahl und Verlust der WählerInnengunst in diesem Durcheinander sind die Folge. Die SPD dagegen wählt lieber den flexiblen Weg: Man besitzt keine Meinung, sondern vertritt jeweils die der Mehrheit. Somit ist man für Panzerlieferungen, für Gentechnik, obwohl man beides noch vor der Wahl verteufelt hat. Die CDU ist nicht anders, wenn man sich die frühe Diskussion (80er, 90er, frühe 00er) um Mindestlohn und Co. anschaut. Und auch die Grünen sind auf dem Weg dorthin, wenn man sich die Ergebnisse des heutigen Parteitages mal genauer durchliesst. Wer dagegen seine (zu einem bestimmten Zeitpunkt eben nicht mehr konsensfähige) Meinung behält, der fliegt (FDP - Wirtschaftsliberal passt nunmal nicht in eine krisengeschüttelte Mittelschicht mit stündlichen Meinungsänderungen..). Eine Ausnahme sind die Linken, die vermutlich nur desshalb überleben, weil sie einerseits ihrer Linie treu bleiben, andererseits auch nicht auf die gesellschaftliche Mitte abzielen und damit unabhängiger der allgemeinen Meinung agieren können.
Es gibt aber noch einen anderen Punkt, der deutlich stärker in den Vordergrund tritt (und der gegen eine allgemeine Politikverdrossenheit spricht): Die Zunahme kleiner, oft themenbezogener Parteien, beispielsweise die Piraten (Datenschutz, ..), AfD (Euro), Die Rechte (Rechtsextremismus) oder andere seit dem Jahr 2000. Interessant ist, dass diese Parteien in der Regel keine Chance auf Plätze in Landtagen oder gar im Bundestag haben, man sie aber doch dagegen unverhältnismäßig oft auf Marktplätzen oder Gemeindeveranstaltungen antrifft. Gleiches gilt für Lobbyorganisationen, was an der Betrachtung des EU Transparenzregisters sichtbar wird, bei dem im letzten Jahresbericht von einer Zunahme von 10% gesprochen wird - und diese Zahlen sind sogar noch mit Vorsicht zu geniessen.
Daneben lässt auch die immer weiter verbretetere Meinung, man könne außerhalb des Parlaments mehr bewirken, als innerhalb, auf eine Erstarkung einer neuen außerparlamentarischen Opposition schliessen. Wenn man sich Städte wie Frankfurt oder Hamburg anschaut, dann könnte man sogar fast schon von außerparlamentarischen Politik sprechen, egal ob durch Hooligan/Neonazi-Demonstrationen, oder durch Squatting und Blockupy, wie heute in FFM, oder durch wirtschaftsliberale Bitcoin-VertreterInnen, die ihr Geld lieber selbst ausgeben, anstatt dem Staat Steuern abzudrücken. Gleiches gilt für Uber, das sich über Personenbeförderungsverordnungen hinweg setzt oder Google und Facebook, die den Datenschutz für sich neu definieren. Die Entscheidungen werden nicht mehr friedlich und demokratisch getroffen, inzwischen steht in vielen Fällen schlicht nur noch das Recht des Stärkeren/Globaleren.

Um auf die Ausgangsfrage zurückzukommen und um ein Fazit zu ziehen: Nein, es gibt kein Zweiparteiensystem. Das Mehrparteiensystem bleibt durchaus bestehen. Es verlagert sich nur zunehmends aus dem Parlament auf die Straße, in die Gesellschaft und in den Markt. Die veränderten Umstände bestimmen wiederum das Parlament. Ein Teufelskreis, wenn man es so möchte, denn die Rückkopplung zum Parlament führt zu nur dazu, dass noch mehr Menschen sich nicht repräsentiert fühlen und damit die Entwicklung anheizen. Vor dem Ergebnis dieser Entwicklung sollten wir uns eigentlich fürchten...
 
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