[TdW 135] Tsipras - Rowdy oder Hoffnungsträger?

Ganz Europa, praktisch sogar die ganze (Finanz)Welt, diskutiert derzeit über den Wahlsieg von Alexis Tsipras und versucht die Folgen abzuschätzen - das TdW kann daher um dieses Thema kaum herum kommen.

Klar ist: Die Griechen haben sich gegen die alten Machthaber und gegen die bisherige Politik entschieden. Die konservative Nea Demokratia und die sozialdemokratische PASOK, die in den letzten Jahrzehnten mehr oder weniger abwechselnd die Regierung stellten, kamen nur auf 76, bzw. 13 Sitze im neuen Parlament. Die als linksradikal bezeichnete Partei Syriza errang mit 149 Sitzen eine deutliche Mehrheit.
Schon vor der Wahl hatten sich alle möglichen Parteien und Organisationen für ein solches Wahlergebnis in Stellung gebracht und Probeschüsse abgegeben, aber auch Nebelkerzen geworfen. So verlautete z. B. aus dem Dunstkreis von unserem Finanzminister Schäuble (CDU), ein griechischer Austritt aus dem Euro, der sogenannte Grexit, sei nicht mehr undenkbar. Zur Erinnerung: Auf dem Höhepunkt der Euro-Krise, als Griechenland vor der Staatspleite gerettet werden musste, argumentierten und Merkel und Schäuble etwa so: Scheitert Griechenland, scheitert der Euro und damit Europa. Somit war die Rettung Griechenlands laut Merkel alternativlos.
Jetzt sei die Lage aber völlig anders, deuten die Verlautbarungen Schäubles an, der Euroraum sei weitgehend stabil und die griechischen Schulden liegen kaum noch bei Privatinvestoren. Was er damit eigentlich sagen sagen will ist: Wir müssen euch nicht mehr um jeden Preis retten und sind nicht erpressbar. Ich denke das Schäuble, bzw. die Bundesregierung, der als Favorit für den Wahlsieg gehandelten Syriza schon vor der Wahl klar machen wollte das ihre Verhandlungsposition nicht so stark ist wie sie vielleicht glauben.
Auf der anderen Seite hat auch Syriza vor der Wahl versucht Signale zu senden und sich für die Zeit nach der Wahl in Stellung zu bringen. Im Wahlkampf hatte Syriza und Tsipras oft und gerne polemisiert - gegen den Sparkurs, gegen die Troika und vor allem gegen die Merkel-Regierung. Schäuble und Merkel gelten als die härtesten Verfechter des eisernen Sparkurses, der auch als Austeritätspolitik bezeichnet wird. Schäuble gilt vielen sogar als der Architekt des Sparkurses als Reaktion auf die Banken- und Eurokrise, manche Zeitungen sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Schäubles Lebenswerk. Kurz vor der Wahl, als sein Sieg schon absehbar wurde, rüstete Tsipras verbal ab und versicherte den Deutschen z. B. in offenen Brief an das Handelsblatt das Syriza keine einseitigen Maßnahmen ergreifen und nicht aus dem Euroraum austreten will. Tsipras versicherte das es ihm nur darum ginge die Bedingungen neu auszuhandeln, um die teils dastischen Auswirkungen des Sparkurses für das griechische Volk zu mindern. Der Grexit sei für ihn höchstens ein Worst-Case-Szenario, wenn die Gläubiger nicht mit sich handeln ließen. Das die Auswirkungen des Spardiktats gerade für das "einfache Volk" drastisch sind, kann niemand bestreiten. Das hier konnte man z. B. im Februar letzten Jahres einer Studie entnehmen:
Ärzte und Kliniken reagierten mit Gebühren, die viele Griechen angesichts dramatisch sinkender Einkommen und Rekordarbeitslosigkeit nicht zahlen können. Weil Arbeitslose zudem nach zwei Jahren ohne Job ihre Krankenversicherung verlieren, stehen der Studie zufolge mittlerweile geschätzt 800.000 Griechen komplett ohne Schutz da.
[...]
Die Zahl der Kinder mit niedrigem Geburtsgewicht ist allein zwischen 2008 und 2010 um 19 Prozent gestiegen, die Zahl der Totgeburten um mehr als 20 Prozent. Als möglichen Grund führen die Wissenschaftler den - wegen hoher Kosten und geringem Einkommen - schwierigen Zugang zu Ärzten an, die zu Komplikationen in der Schwangerschaft führten. Auch die Säuglingssterblichkeit ist den Zahlen zufolge um 43 Prozent gestiegen.
Quelle: Studie: Sparkurs hat verheerende Folgen für Gesundheit der Griechen - SPIEGEL ONLINE

Was genau Tsipras für Bedingungen aushandeln will und welche neue Politik er verfolgen will, verrät Tsipras indes nicht. In dem bereits erwähnten offenen Brief heißt es dazu lapidar:
Ziel ist es, im Rahmen der Eurozone zu einer neuen Übereinkunft zu kommen, die es der griechischen Bevölkerung möglich macht zu atmen, ihre Produktivität freizusetzen und in Würde zu leben. Mit Wiederherstellung der Schuldentragfähigkeit und einem Ausweg aus der Rezession. Mittels Wachstumsfinanzierung statt zum Scheitern verurteilter Austeritätspolitik, welche immer wieder in die Rezession führt. Mit Förderung des sozialen Zusammenhaltes. Mit mehr Solidarität und mehr Demokratie.
Am 25. Januar wird in Griechenland eine neue Chance für ganz Europa geboren. Mögen wir sie nicht ungenutzt lassen.
Quelle: In einem offenen Brief an das “Handelsblatt” wendet sich A. Tsipras an die Deutschen… Lesenswert! » Beitrag » Radio Korfu

Mit solchen Aussagen ist Tsipras nicht nur zum griechischen Ministerpräsidenten geworden, er wurde geradezu zum Hoffnungsträger der europäischen Linken. Linke Parteien aus Spanien und Italien schickten schon vor dem Wahltag Abordnungen nach Griechenland und feierten schließlich Tspiras Sieg wie ihren eigenen. Auch für unsere Linkspartei ist Tsipras ein aufgehender Stern am Polithimmel und ein Hoffnungsschimmer auf einen Linksruck in Europa.

Aber mittlerweile ist Alexis Tsipras eben Ministerpräsident und das bedeutet nicht nur das die Wahlkampfshow vorbei ist, sonderen das nun das harte Tagesgeschäft beginnt. Die Realität hat Tsipras selbst, aber auch seine Freunde und Feinde eingeholt, nun wird er sich an seinen Taten und seinen Erfolgen messen lassen müssen.
Und zumindest im Bezug auf die Taten hat er gleich losgelegt, so ist er z. B. eine Koalition mit der rechtsnationalistischen Partei Unabhängige Griechen eingegangen und hat deren Chef, den Rechtspopulisten Panos Kammenos, zum Verteidigungsminister ernannt. Eine von dessen ersten Amtshandlungen provozierte einen Grenzzwischenfall mit der Türkei.
Weniger martialisch, dafür umso dramatischer und weitreichender sorgte der neue Finanzminister Gianis Varoufakis für aufsehen, in dem er in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Eurogruppen-Chef Jeroen Dijsselbloem die Zusammenarbeit mit der sogenannten Troika aufkündigte: Auf Konfrontationskurs mit EU: Eklat in Athen: Neue Regierung wirft Troika raus - heute-Nachrichten

Vor diesem Hintergrund stellt das TdW also die Frage: Alexis Tsipras, ein populistischer Rowdie oder ein linker Hoffnungsträger?

Quellen und mehr zum Thema:
In einem offenen Brief an das “Handelsblatt” wendet sich A. Tsipras an die Deutschen… Lesenswert! » Beitrag » Radio Korfu
Studie: Sparkurs hat verheerende Folgen für Gesundheit der Griechen - SPIEGEL ONLINE
Griechenland entlässt Chefs der Privatisierungsbehörde TAIPED-HRADF
Auf Konfrontationskurs mit EU: Eklat in Athen: Neue Regierung wirft Troika raus - heute-Nachrichten
Alexis Tsipras: Die Griechen gründen gerade Europa | ZEIT ONLINE
 
Ich verstehe das Finanzsystem in Europa ohnehin nicht. Was aber ja nun deutlich ist: Griechische Politiker haben sich in den Euro gemogelt. Nun fällt der ganze Mist dem Volk auf die Füße. Leiden tun ja immerhin nicht die Bonzen auf ihren Jachten, sondern der ganz normale Typ. Ich hoffe jedenfalls der Tsipras stellt sich klug an und findet eine Lösung für die Griechen. Möglicherweise werden sie in der Zukunft ein Vorbild sein können. Ich jedenfalls hoffe auf baldige "Genesung" für die Griechen. Auf der anderen Seite ist die Wiederwärtigkeit unserer Politiker kaum zu ertragen, wenn sie die Griechen "ermahnen" und herum posaunen dass man die Sturheit der Griechen nicht den Steuerzahlern aufbürden kann. Der deutsche Steuerzahler ist schon zu sehr damit beschäftigt irgendwelchen Bankern den Ausstand zu sanieren und den "1. Stand" zu erhalten.

(ja..sehr sehr sehr subjektiv :P )
 
Griechenland

Hallo


@Chromatin

Das sind aber nicht nur die Bonzen.

- Die Verwaltung in Griechenland ist wohl eher auf Entwicklungslandniveau
- kein Kataster
- eine Finanzverwaltung die diesen Namen nicht verdient, Millionäre zahlen seit Jahren keine Steuern
- seit Dez. sind 4 Milliarden Steuern nicht gezahlt worden, ergo von Finanzverwaltung keine Rede
- Steuerhinterziehung ist dort Volkssport
- Korruption allgegenwärtig
- ein Wasserkopf von ineffektiven Beanten, bezogen auf die Bevölkerungszahl, der 2-3x so hoch ist, wie der de BRD.

Ich Frage mich da wirklich, wie der neue Ministerpräsident den karren aus dem Dreck fahren will.
Denn Wiedereinstellung der faulen Beamten kann ja wohl nicht die Lösung und weiterhin morode Staatsunternehmen durchfüttern auch nicht sein, aber genau das macht er ja. Wenn er in diese Richtung weiteramcht, fährt er Griechenland flott in die Pleite undes kommt so schnell ncith mehr raus, da Griechenland keinen Kredit mehr bekommen würde.

mfg
schwedenmann
 
Das sind aber nicht nur die Bonzen.
Solche Konstruktionen wie den Eurobeitritt einfädeln? Das machen letztendlich immer "Bonzen" auch wenn sie dafür ein paar Trottel in der Politik brauchen solche Nummer abzuziehen.

Und deine Liste zeigt doch einmal mehr, dass der Euro-Beitritt eine Luftnummer war, dessen Zeche eben nun der kleine Mann zahlt. Ich denke man wird auf den Schuldenschnitt hinarbeiten, der am Ende auch gelingen wird (so oder so). Und ganz ehrlich: Was sonst sollten die auch machen? Die haben nichts und die werden eine Wirtschaft wie sie nötig wäre, auch nicht auf die Beine stellen. Jedenfalls nicht unter diesen Bedingungen. Für die Schreihälse der Troika ist das natürlich unangenehm denn auch die letzten Analphabeten würden sehen, dass diese Leute eben genau die Idioten sind, für die man sie schon die ganze Zeit gehalten hat.


Ich kann dem ganzen nicht anders als mit Polemik begegnen, denn dass sich die Griechen unterm Euro wieder aufrichten koennen, ist doch bullshit ;) Da braucht es keine Expertenrunden und keine Diplome - "Nichts" summiert sich nicht zu irgend etwas anderem egal wie viele Leute ihren Senf dazugeben.

Wenn er in diese Richtung weiteramcht, fährt er Griechenland flott in die Pleite undes kommt so schnell ncith mehr raus, da Griechenland keinen Kredit mehr bekommen würde.

Die Iren waren da selbstbewusster ;)
ich habe vollstes Vertrauen in unsere Politiker, dass sie den Sturz auffangen.
Immerhin müssen ja durch die Privatisierung Investitionen geschützt werden.
Die Griechen koennen aus der Sache mit neuem Selbstbewusstsein heraustreten, was sie nun wirklich gut gebrauchen koennen und für uns hier treibt man eben irgend ne neue Sau durchs Dorf. Business as usual...
 
Mittlerweile ist die neue Regierung ja ein paar Tage im Amt und es gab tatsächlich ein paar interessante Entscheidungen der neuen Regierung. Während man sich hier vor allem auf die medienwirksamen Schockmomente wie den Rauswurf der Troika, die Ankündigung Privatisierungen zu stoppen und entlassene Beamte wieder einzustellen konzentrierte, gab es auch Maßnahmen die durchaus dazu geeignet sind zu sparen & neue Wege in der Politik zu gehen:
- das Kabinett hat Tsipras praktisch halbiert, nur noch zehn Minister gehören der Regierung an
- den Ministern wurden die Dienstwagen gestrichen und der gesamte Ministerfuhrpark steht zum Verkauf (laut SPON befindet sich darunter auch eine kugelsichere BMW Sonderanfertigung für 750.000€)
- Tsipras soll die Minister persönlich ermahnt haben sparsam zu sein, Ausgaben zu überdenken & auch bei Dienstreisen nur Economy-Class zu buchen

Ansonsten reisen Ministerpräsident Tsipras & Finanzminister Varoufakis durch Europa und werben für einen Kurswechsel. Momentan befindet sich Varoufakis in Berlin und trifft sich dort mit Finanzminister Schäuble und da prallen Welten aufeinander: Einerseits der hochbetagte, konservative Polit-Veteran Schäuble (aufgrund seiner Verwicklung in den CDU Parteispendenskandal juckt es mich immer in den Fingern Polit-Gangster zu schreiben), der als Vater und härtester Verfechter der Austeritätspolitik gilt. Und andererseits der vergleichsweise junge, politisch unerfahrene Wirtschaftswissenschaftler Varoufakis.
Scheinbar sind die beiden sich noch nicht einmal darüber einig, worüber sie sich uneinig sind:
Schäuble sagt: "Wir sind uns einig, uneinig zu sein." Varoufakis widerspricht: "Wir sind uns noch nicht einmal einig, uneinig zu sein." Inhaltlich hat sich nach dem "offenen und intensiven" Gespräch also nichts bewegt: Deutschland steht für Einhaltung der Vereinbarungen aus dem aktuellen Sparprogramm - Griechenland wendet sich entschieden dagegen und will sich mit einer Überbrückungsregelung Zeit verschaffen, bis eine Lösung gefunden ist.
Quelle: Yanis Varoufakis trifft Wolfgang Schäuble - Wirtschaft - Süddeutsche.de

Für Europa im allgemeinen und Griechenland im speziellen, sind es also gerade sehr spannende Zeiten. Und auch für Deutschland, das nicht nur Europas größte Volkswirtschaft ist, denn Berlin steht auch wie keine andere europäische Regierung für den eisernen Sparkurs, der momentan auf dem Prüfstand ist. Vermutlich erklärt das auch warum gerade unsere Regierung und auch unsere Medien besonders auf Konfrontationskurs mit Syriza sind. Kürzlich hat Fefe z. B. auf einen interessanten Artikel über den Umgang deutscher Medien (speziell DER SPIEGEL) mit Tsipras, Varoufakis & Co verlinkt: Carta — Im Tal der Ahnungslosen

Aber auch Syriza ist mittlerweile im Alltag angekommen und hat den ersten Kurswechsel zu verzeichnen: Griechenland: Regierung will nun doch an Privatisierungen festhalten - SPIEGEL ONLINE

In jedem Fall bleibt es spannend...;)

Quellen & mehr zum Thema:
Zehn Minister bilden Regierung in Athen: Tsipras halbiert das Kabinett | tagesschau.de
Tsipras-Regierung in Griechenland: Dienstwagen verkaufen, Bus fahren - SPIEGEL ONLINE
Yanis Varoufakis trifft Wolfgang Schäuble - Wirtschaft - Süddeutsche.de
Yanis Varoufakis: "Finanzminister eines bankrotten Staates" | ZEIT ONLINE
Griechenland: Korruption und Steuerbetrug - Politik - Süddeutsche.de
Carta — Im Tal der Ahnungslosen
Griechenland: Regierung will nun doch an Privatisierungen festhalten - SPIEGEL ONLINE
 
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