[TdW 154] Droht ein neuer Kalter Krieg?

Diese Woche wird das TdW ein wenig nostalgisch und erinnert an den Kalten Krieg. Ich selbst bin ja in der Zeit des Kalten Krieges aufgewachsen und kann mich recht gut an dessen letztes Jahrzehnt erinnern, für die YouTube-Generation hier eine Kurzerklärung des Begriffs: Als Kalten Krieg bezeichnet man den Konflikt zwischen dem von den USA angeführten Westblock und dem von der Sowjetunion geführten Ostblock. Der Krieg wurde deshalb als kalt bezeichnet, weil es nie zu einer direkten militärischen Konfrontation zwischen der NATO und dem Warschauer Pakt kam, sondern der Konflikt vor allem mit nachrichtendienstlichen und wirtschaftlichen Mitteln geführt wurde. Die Nachrichtendienste hüben wie drüben überschlugen sich geradezu in dem Versuch möglichst viele Informanten anzuwerben, möglichst viele feindliche Institutionen zu unterwandern und dem Gegner mittels Fehlinformation, Propaganda und Sabotage möglichst viel Sand ins Getriebe zu streuen. Zu den wirtschaftlichen Aspekten gehörte natürlich einerseits das ständige Wettrüsten, das auf dem völlig irrsinnigen Prinzip des Gleichgewichts des Schreckens beruhte und andererseits die Strategie Geld als Waffe zu nutzen und so z. B. unabhängige (um nicht zu sagen unparteiische) Staaten zu assoziierten Satellitenstaaten zu machen. Ein beliebtes Mittel des Kalten Krieges waren auch die sogenannten Stellvertreterkriege. Besonders bekannte Beispiele für Stellvertreterkriege im Kalten Krieg waren z. B. die Kriege in Korea, Vietnam und Afghanistan. Stellvertreterkriege sind oftmals Bürgerkriege, in denen die verfeindeten Parteien von nur im Hintergrund agierenden rivalisierenden Großmächten mit eigenen Interessen unterstützt werden. Warum erwähne ich das alles? Weil ich in den letzten Monaten beim Zeitung lesen oder Nachrichten hören (ja, ich bin altmodisch genug um noch Radio zu hören:P) immer öfter das Gefühl habe, jemand hätte heimlich die Uhr zurückgedreht und wir befänden uns wieder mitten im Kalten Krieg.
Das die Beziehung zwischen "dem Westen" und Russland spätestens seit der Ukraine-Krise auf einem historischen Tiefpunkt angelangt sind, ist ein offenes Geheimnis. Zugespitzt hatte sich die Lage weil sowohl der Westen (in Gestalt der EU und der USA), als auch Russland in der Ukraine eigene wirtschaftliche und politische Ziele verfolgten und unterschiedliche politische Gruppierungen in der Ukraine unterstützten (wobei die EU und die USA durchaus auch verschiedene Wege gingen). Als Ergebnis wurde die Ukraine in einen blutigen Bürgerkrieg gestürzt und der Westen und Russland stehen sich erstmals wieder offen feindselig gegenüber. Russland hat die Krim annektiert und unterstützt pro-russische Separatisten im Osten der Ukraine. Der Westen kontert mit wirtschaftlichen Sanktionen gegen Russland und unterstützt ukrainische Nationalisten. Das klingt irgendwie wohl vertraut und erinnert mich frappierend an einen altmodischen Stellvertreterkrieg. Ähnlich sieht es mit dem Bürgerkrieg in Syrien aus, hier hat der Westen im Zuge des arabischen Frühlings mit dem Assad-Regime gebrochen, während Russland und China ihm weiterhin die Treue halten. Nur durch die Unterstütung durch diese Großmächte im Hintergrund wird dieser Konflikt lebendig gehalten - sonst hätte sich schon längst eine der Kriegsparteien durchgesetzt oder ihnen wäre schlichtweg zuerst das Geld und dann das Kriegsgerät ausgegangen (die Rüstungsindustrie verdient zwar gutes Geld an Kriegen, aber nur weil sie selbst treuen Kunden keinen kostenlosen Nachschub liefert).
Wir erleben also gerade das es wieder Stellvertreterkriege gibt, in denen die eine Seite vom Westen und die andere Seite von Russland unterstützt wird. Gleichzeitig führen der Westen und Russland auch wieder einen aggressiven Konflikt mit wirtschaftlichen Mitteln (z. B. mit Sanktionen auf der einen und Importstopps auf der anderen Seite) und auch die Propagandamaschinen auf beiden Seiten sind längst wieder angelaufen. Darüber welche Rolle die Geheimdienste in diesem Konflikt spielen, kann man naturgemäß nur spekulieren, doch man kann wohl davon ausgehen das sie in diesem, ihrem ureigensten Spiel, wieder äußerst aktive Mitspieler sind. Erleben wir also gerade den Beginn eines neuen Kalten Krieges?
Im Grunde würde ich diesen Gedanken einfach abtun, denn obwohl Russland immer noch über eine beeindruckende militärische Schlagkraft verfügt, ist es in meinen Augen wirtschaftlich eher ein Papiertiger und kaum geeignet sich als neuer, alter Gegenspieler "des Westens" zu positionieren. Trotzdem scheinen bereits viele der alten Mechanismen des Kalten Krieges wieder zu greifen - doch warum ist das so?
Dazu sollte man wissen das der Kalte Krieg für viele Interessensgruppen eine Art win-win-Situation war. Man denke z. B. an den vielzitierten militärisch-industriellen Komplex für den das Wettrüsten des Kalten Krieges geradezu eine Lizenz zum Gelddrucken und somit zur Festigung und dem beständigen Ausbau der eigenen Macht war. Das ging so weit das Präsident Eisenhower schon 1961 eindringlich vor der wachsenden Macht dieser Guppierung warnte:
„Wir in den Institutionen der Regierung müssen uns vor unbefugtem Einfluss -- beabsichtigt oder unbeabsichtigt -- durch den militärisch-industriellen Komplex schützen. Das Potenzial für die katastrophale Zunahme fehlgeleiteter Kräfte ist vorhanden und wird weiterhin bestehen. Wir dürfen es nie zulassen, dass die Macht dieser Kombination unsere Freiheiten oder unsere demokratischen Prozesse gefährdet. Wir sollten nichts als gegeben hinnehmen. Nur wachsame und informierte Bürger können das angemessene Vernetzen der gigantischen industriellen und militärischen Verteidigungsmaschinerie mit unseren friedlichen Methoden und Zielen erzwingen, so dass Sicherheit und Freiheit zusammen wachsen und gedeihen können.“
Obwohl die Geheimdienste im Grunde wohl auch zum militärischen-indrustriellen Komplex gehören, sollte man sie auch noch explizit erwähnen, denn während des Kalten Krieges spielten sie nicht nur eine zentrale Rolle als Speerspitze und Schild ihres Machtblocks - es wäre auch niemand auf die Idee gekommen ihr Existenzrecht öffentlich zu bezweifeln. Vermutlich gehörten die Geheimdienste mehr als alle anderen Gruppierungen zu den Verlierern des Ende des Kalten Krieges. Die Politik passte sich wie immer schnell an die neuen Gegebenheiten an, Militär & (Rüstungs)Industrie mussten zwar Einbußen hinnehmen, wurden dadurch aber nicht in ihrer Existenz bedroht. Den Geheimdiensten aber warf man einerseits vor versagt zu haben (weder konnte der CIA den Zusammenbruch der Sowjetunion, noch der BND den Bankrott der DDR vorhersagen), andererseits fragten sich viele Menschen wozu man in der schönen neuen Welt ohne Eisernen Vorhang und feindliche Supermächte noch Geheimdienste brauchen würde. Viele Schlapphüte wurden arbeitslos und vermutlich war die Position aller Nachrichtendienste der Welt bei den Verhandlungen um Budgets einige Jahre lang ziemlich schwach. Erst der Krieg gegen den Terror, dürfte vielen Geheimdiensten wieder Oberwasser verschafft haben, da ihre speziellen Skills plötzlich wieder gefragt waren. Doch die beständige Beschwörung des Terrors als Gefahr für die Gesellschaften der "freien Welt" und die ständigen Enthüllungen über Rechtsbrüche im Zuge des Kriegs gegen den Terror (man denke an Entführungen, Folter und ungerechtfertigte Angriffskriege) haben diesen Begriff mittlerweile abgenutzt.
In dieser Situation, wo man nicht mehr nur Terrorist rufen muss um beim Otto-Normal-Bürger Ängste und ein ausgeprägtes Schutzbedürfnis zu wecken und in der Geheimdienste einmal mehr mit scharfer Kritik konfontiert (z. B. als Datenkraken ohne Respekt vor verbrieften Grundrechten) werden, scheint plötzlich der Kalte Krieg ein Revival zu erfahren. Russland, bzw. der Westen ist wieder der Böse, es wird wieder mit harten Bandagen verbal und wirtschaftlich gegeneinander gekämpft, militärisch provoziert man sich gegenseitig mit Manövern und sogar Aufrüstung & Stellvertreterkriege kommen wieder in Mode...
Vor diesem Hintergrund stellt das TdW also heute die Frage: Droht ein neuer Kalter Krieg? Und falls ja: Cui bono?

Quellen & mehr zum Thema:
https://de.wikipedia.org/wiki/Kalter_Krieg
https://de.wikipedia.org/wiki/Gleichgewicht_des_Schreckens
https://de.wikipedia.org/wiki/Stellvertreterkrieg
http://www.zeit.de/politik/ausland/2015-09/syrien-usa-warnen-russland
http://www.sueddeutsche.de/wirtscha...land-ueber-lebensmittel-vernichtung-1.2598246
http://www.spiegel.de/netzwelt/netz...abrik-eine-insiderin-berichtet-a-1036139.html
http://www.faz.net/aktuell/politik/...-massive-aufruestung-osteuropas-13655728.html
http://www.spiegel.de/politik/ausla...-eskalation-des-saebelrasselns-a-1039379.html
 
Zuletzt bearbeitet:
Das HaBo hat sich einmal mehr als kulturelle Avantgarde erwiesen, so das sich die Zeit veranlasst sah das Thema des aktuellen TdWs aufzugreifen...:D
In einem Interview mit der russischen Germanistin Irinia Scherbakowa und dem deutschen Russlandkenner Bernd Bonwetsch wird jedenfalls ebenfalls die Frage diskutiert ob uns ein neuer Kalter Krieg droht. Hier mal ein Auszug für die Lesefaulen:
Scherbakowa: Eine Militärparade ist das Letzte, was wirkliche Frontsoldaten sich gewünscht hätten! Und schauen Sie, was dieses Jahr am 9. Mai los war: Im Internet konnte man für 1000 Rubel, umgerechnet etwa 20 Euro, Uniformen aus dem Großen Vaterländischen Krieg für Zwei- und Dreijährige kaufen, es gab Kinder-Militärparaden. Dazu Putins antiwestliche Rhetorik und in den Medien sogar die Drohung, Kernwaffen einzusetzen. Ich bin in den schlimmsten Zeiten des Kalten Krieges aufgewachsen, aber wenigstens hat man damals den Schein aufrechterhalten: Niemals Krieg – auch wenn wir natürlich aufrüsten müssen.
ZEIT Geschichte: Steuern wir auf einen neuen Kalten Krieg zu?
Scherbakowa: Ich fürchte, wir sind schon mittendrin.
Bonwetsch: Und in gewisser Weise sind die Wunden des alten noch nicht verheilt. Man fühlt sich in Russland durch den Westen noch immer getäuscht. Dieses Ausgreifen der Nato gen Osten nach 1990, das gehörte nicht zu dem Gentlemen’s Agreement, das Gorbatschow mit Kohl ausgehandelt hat, als er grünes Licht für die deutsche Einheit gab. An eine "friedliche Revolution" erinnert man sich in Russland nicht, wenn es um die Jahre 1989 bis 1991 geht. Man spricht vom Zerfall der Sowjetunion.
Quelle: Deutschland und Russland: Droht uns ein neuer Krieg? | ZEIT ONLINE
 
Die Ukraine und der nahe Osten machen das ebenfalls seit Jahren deutlich.
Allerdings hat man auch die wenigen zarten Pflanzen der Annäherung durch Russland, insbesondere in der kritischen Phase nach der Sowjetunion, gleich plattgebügelt.

Es entschuldigt sich auch niemand bei Putin für die ganze Kritik - als er gegen die Islamisten vorgegangen ist :D
 
Ja, wir sind bereits mitten drin. Wir haben wieder einen Punkt des Säbelrasselns. Damals war's primär die innerdeutsche Grenze, heute sind es die NATO-Länder-Grenzen zum Ostblock. Dort wird fleissig mit den Waffen geklirrt. Denn zu Putins ach so aggressiven Militärparaden sollte man durchaus auch die NATO-Manöver an der russischen Grenze erwähnen, die auch Teil des grossen Säbelrasselns sind.

Womit wir dann auch schon den nächsten Punkt des Kalten Krieges wiederfinden: Die Propaganda-Mühlen mahlen wieder. Da wird uns in der Zeitung jemand als Russland-Experte vorgeführt, der sich mit der russischen Geschichte (primär Anfang des letzten Jahrhunderts) befasst hat, aber von den Abläufen in der dortigen Politik auch nicht mehr Ahnung hat als ein deutscher Blogger von den Abläufen in der Bundesregierung. Schlicht und einfach, weil er keinen direkten Einblick in diese Kreise hat. Und dazu natürlich eine Regime-Kritikerin. Die Gegenseite wird also gar nicht erst beleuchtet, was wir auch im Kalten Krieg schon in dieser Form erlebt haben. Den russischen Botschafter und die Regime-Kritikerin zu den gleichen Fragen zu interviewen hätte den deutschen Leser aber vermutlich eh überfordert. Dann hätte er sich angesichts der Widersprüche in den verschiedenen Aussagen tatsächlich eine eigene Meinung bilden müssen.

Auch die Aufrüstung beider Seiten kennen wir von damals. Schon damals erreichte die Entwicklung von Waffentechnologien ungeahnte Höhen. Und heutzutage wird sie noch ausgeweitet auf die elektronische Kriegsführung. Angefangen von Angriffen über das Internet auf Teile der Infrastruktur des Gegners bis hin zu EMP-Waffen um die Technik von Schiffen lahmzulegen.

Natürlich kennen wir auch die Bedrohung mit Atomwaffen von damals. Die geht übrigens keineswegs nur von Putin aus, wie man erfährt, wenn man auch mal US-Medien wie AP verfolgt oder Nachrichten-Sendungen von US-Sendern schaut. Da wird ziemlich offen über die Option gesprochen Russland mit Atomwaffen anzugreifen. Wie man allerdings einen Flächenbrand über die ganze Welt als Option betrachten kann und das auch noch wegen eines so unbedeutenden Fleckchen Erde wie der Ukraine, ist mir allerdings ein Rätsel. Denn um die Ukraine geht es ja angeblich.

Und auch die Spionage-Tätigkeiten haben wieder zugenommen bzw. werden wieder geahndet. Oder ist noch keinem aufgefallen, dass wir plötzlich wieder Festnahmen russischer Spione in den Medien haben? Natürlich gibt's nun auch wieder verhaftete US-Spione. Wär ja sonst zu offensichtlich einseitig. Solche Berichte hatten wir aber einige Jahre nicht mehr. Seit etwa 5 Jahren tauchen sie nun wieder auf. Es ist ja nun nicht so, dass Russland nach dem Ende des Kalten Krieges nicht mehr spioniert hat. Es wurde nur nicht mehr zur Meinungsmache gegen Russland genutzt. Und auffälligerweise geht man gegen Spione "befreundeter" Staaten auch wenig konsequent vor. Siehe den NSA-Skandal, der bis heute keine Konsequenzen hatte.

Alles in allem ist nun wieder ein Status hergestellt, der der NATO die Daseinsberechtigung sichert, die Wirtschaft am Laufen hält und alt gewohnte Feindbilder wieder nutzbar macht. Eine Win-Win-Situation für beide Seiten. Wenn da nur nicht die dummen Islamisten wären, die der US-Kontrolle entglitten sind und die sich nun gegen ihre früheren Herren wenden. Aber das ist ein anderes Thema.
 
Zurück
Oben