[TdW 171] Droht uns ein Kampf der Kulturen, der Ideologien oder nichts dergleichen?

Inspiriert von diesem Gastartikel des amerikanischen Journalisten James Kirchick in der FAZ, beschäftigt sich das TdW diesmal mit der Frage ob uns tatsächlich ein Kampf der Kulturen drohen könnte. Weltuntergangspropheten erleben momentan vermutlich eine Hochkonjunktur, weil sich die Menschheit derzeit mit vielen globalen Problemen und auch mit Veränderungen konfrontiert sieht. Auch gut 16 Jahre nach den fürchterlichen Anschlägen vom 11. September 2001 ist der, von Präsident George W. Bush ausgerufene, Kreuzzug gegen den Terror nicht beendet - im Gegenteil islamistischer Terror bleibt ein weltweites Phänomen und eine Bedrohung. Die meisten Opfer des islamistischen Terrors sind Moslems, denn den Islamisten geht es vor allem auch darum liberale Strömungen innerhalb des Islams zu bekämpfen und ihre eigenen, radikalen religiösen Ansichten zu verbreiten. In vielerlei Hinsicht dient der islamistische Terror also primär dazu die Deutungshoheit über "den Islam" zu erlangen und alle anderen Auslegungen zu unterdrücken. Ironischerweise sind sie damit gerade im - je nach Standpunkt - christlichen oder säkularen Westen erfolgreich, denn viele Menschen hier denken bei dem Wort Islam schon fast automatisch an das Wort Terror. Tatsächlich haben islamistische Terroristen den Westen auch mit einer ganzen Reihe blutiger Anschläge (z. B. in New York, Madrid, London, Paris, Nizza und Berlin) in seinen Grundfesten erschüttert. Terroristen versuchen fast immer mittels der Verbreitung von Furcht und Schrecken politische Ziele zu erreichen. Im Falle islamistischer Anschläge auf den Westen sind diese Ziele recht offensichtlich: Es geht darum einen Keil zwischen muslimischen und westlichen Staaten zu treiben und ein wir gegen die Gefühl zu erzeugen. Natürlich geht es auch darum harte Reaktionen seitens des Westens zu provozieren, denn Nachrichten über Foltergefängnisse oder die immensen "Kollateralschäden" bei Drohnenangriffen sind das beste Rekrutierungsprogramm für Islamisten. Man kann sich daher vorstellen wie sehr man sich in diesen Kreisen über Angela Merkels "Wir schaffen das" und die Aufnahme einer großen Zahl muslimischer Flüchtlinge geärgert hat - auch die Bilder von Bürgern die Flüchtlinge am Bahnhof willkommen heißen, dürften für einigen Missmut gesorgt haben. Im Narrativ der Islamisten ist der Westen der Feind der den Islam vernichten will - wahlweise in Gestalt christlicher Kreuzzügler oder dekadenter Atheisten. Gleichzeitig gibt es auch im Westen Strömungen die von dieser Konfrontation profitieren und in deren Narrativ eben der Islam eine Bedrohung ist, die es zu bekämpfen gilt: Rechtspopulisten. Überall im Westen erstarken sowohl nationalistische, als auch rechtspopulistische und auch fremdenfeindliche oder klar rechtsradikale Gruppierungen. Ähnlich wie die Islamisten versuchen die Rechtspopulisten die Gesellschaft zu spalten und ein Gefühl von wir gegen die zu erzeugen. Und genau wie bei den Islamisten gehören nicht nur Muslime zum Feindbild, sondern gerade auch Mitbürger die andere Ansichten & Einstellungen haben. Sowohl die Islamisten, als auch die extreme Rechte in westlichen Staaten versuchen also die Spannungen zwischen den Religionen / Kulturen zu forcieren und Kapital aus Furcht und Hass zu schlagen. Während Reaktionen des Gegners, also z. B. Terroranschläge auf der einen und militärische Übergriffe auf der anderen Seite, dazu dienen die Zahl der eigenen Anhänger zu vergrößern, werden Menschen die sich für ein friedliches Miteinander und für den Dialog einsetzen von den einen als unislamisch und von den anderen als Volksverräter diffamiert.
Hier sieht man also auf beiden Seiten Kräfte am Werk die einen Kampf der Religionen oder Kulturen befeuern, um daraus Vorteile zu ziehen. Der Begriff Kampf der KUlturen / Clash of Civilizations geht afaik auf den Politologen Samuel P. Huntington zurück, der die Hypothese aufstellte das dass 21. Jahrhundert von Konflikten zwischen Kulturräumen - allen voran dem Westen, dem Islam und China - geprägt werden würde. Diesen Gedanken greift der Autor des Eingangs erwähnten FAZ Artikels auf und reduziert es auf die Konfrontaion zwischen Angela Merkel und Stephen Bannon, die er als Vertreter einer völlig unterschiedlichen Überzeugung sieht:
Bannon, der einflussreichste und mächtigste Berater Donald Trumps, sieht die westliche Zivilisation in einem ewigen Kampf mit dem Islam. „Wir erleben gerade die Anfangsphase eines sehr brutalen und blutigen Konflikts“, erklärte er 2014 vor den Teilnehmern einer Konferenz konservativer Kirchenführer im Vatikan. „Blickt man zurück auf die lange Geschichte des Kampfs des jüdisch-christlichen Westens gegen den Islam, hielten unsere Vorväter, wie ich glaube, die Stellung, und ich denke, sie taten das Richtige.“ Bannon ist besessen vom Krieg. In fast all seinen Reden und Interviews finden sich vielfältige Bezüge darauf. „Ein großer Krieg kündigt sich an, ein jetzt schon globaler Krieg“, erklärte er 2014, „ein Krieg gewaltigen Ausmaßes“, ein „globaler Krieg gegen den islamischen Faschismus“.
[...]
Anders als Bannon, der den Glauben von 1,7 Milliarden Muslimen leichtfertig mit einer radikalen, auf Gewalt und Unterjochung versessenen Abart dieses Glaubens gleichsetzt, ist Merkel der Ansicht, dass der Islam mit westlicher Demokratie vereinbar sei. Auf dem Höhepunkt der „Pegida“-Proteste in Dresden brachte die Kanzlerin ihre Überzeugung zum Ausdruck, dass der Islam zu Deutschland gehöre, und beklagte mit Blick auf die Teilnehmer der wöchentlichen Demonstrationen den „Hass in deren Herzen“. Im weiteren Verlauf des Jahres öffnete Merkel die deutschen Grenzen für knapp eine Million vornehmlich muslimische Flüchtlinge – ein Schritt, der ihr die unsterbliche Feindschaft Bannons und der damals von ihm geleiteten rechtsnationalistischen Website Breitbart.com einbrachte.
Quelle: http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/die-welt-unter-trump-merkel-gegen-bannon-14888334.html

Bannon ist offenbar ein Anhänger einer Theorie nach der in regelmässigen Zyklen Kriege oder Krisen die bestehende Ordnung vernichten und etwas neues, besseres hervorbringen (Details in dem FAZ Artikel). Man könnte Bannon, der schließlich auch durch seine Begeisterung für die Finsternis, Darth Vader und Satan aufgefallen ist, belächeln - aber er ist eben auch mittlerweile einer der engsten Berater von Donald Trump und hat sogar einen Platz im Sicherheitsrat bekommen. Außerdem ist mit erz-konservativen Kräften im Vatikan vernetzt. Der Mann hat also durchaus Einfluss und ganz real die Chance seine Überzeugungen auszuleben und die globale Politik mitzubestimmen - sollte James Kirchick recht behalten und Angela Merkel ist das einzige, was zwischen uns und einer Welt nach den Vorstellungen eines Stephen Bannon steht, möge das Fliegende Spaghetti Monster uns allen gnädig sein...:D

Aber ganz ernsthaft fragt das TdW heute: Stehen wir vor dem Beginn eines Kampfes der Kulturen? Oder vor einer Konfrontation politischer Ideologien? Oder ist das ganze mal wieder nur heiße Luft?

Quellen & mehr zum Thema:
http://www.faz.net/aktuell/politik/trumps-praesidentschaft/die-welt-unter-trump-merkel-gegen-bannon-14888334.html
https://de.wikipedia.org/wiki/Kampf_der_Kulturen
https://de.wikipedia.org/wiki/Angela_Merkel
https://de.wikipedia.org/wiki/Stephen_Bannon
http://www.tagesspiegel.de/politik/t.../14865894.html
http://www.zeit.de/2017/08/us-regierung-vatikan-christentum-steve-bannon-donald-trump-machtkampf
https://www.tagesschau.de/ausland/bannon-nationaler-sicherheitsrat-101.html
 
Wieso sollte es denn ein Beginn eines solchen Kampfes sein? Dieser Kampf findet bereits seit Jahrhunderten statt. Mal mehr mal weniger aufflammend, aber immer präsent. Mir ist keine Zeit seit den Kreuzzügen bekannt, in der es den Kampf zwischen östlichen/muslimischen Traditionen und westlichen/christlichen Traditionen nicht gab. Es gab lediglich Zeiten, in denen der Kampf eher verdeckt geführt wurde, indem man z.B. Herrscher in der muslimischen Welt gezielt an die Macht brachte und damit zumindest zeitweise Kontrolle über deren Gebiete erlangte. Aktuell sind wir lediglich wieder in einer Phase, in der die Konflikte offen aufflammen und mit Mitteln geführt werden, die bisher unüblich waren.
 
Ich möchte zunächst mal deutlich machen, dass der "Kampf der Kulturen" etwas anders zu verstehen ist und, zumindest was Huntington angeht, eher an geeigneter Übersetzung mangelt.

Ursprünglich gemeint ist damit die Verschiebung von Weltordnung und lokalen Ordnungen, getrieben durch Kultur.

Zum Beispiel kann eine Ordnung in einem Staat durch Gesetze etabliert werden. Wie im Nationalsozialismus geht es dann um eine Ideologie.
In einer Verschiebung durch Kultur, entwickelt sich eine Verschiebung aus den gesellschaftlichen Ansprüchen heraus, indem eine kulturelle Gruppe irgendwo wächst und deren Ansichten und Bedürfnisse sich in Gesetzen und auch Alltag und Traditionen durchsetzen.
Kulturelle Gruppen sind idR. eng mit Ethnien verknüpft, sodass man sagen kann, dass die Zuwanderung von (anderen) ethnischen Gruppen, ab einer bestimmen "kritischen Masse" Veränderungen mit sich bringt.
Das ist erstmal völlig wertfrei und einleuchtend und weniger Krieg als historisches usual-business.

Der "Krieg" (auch wenn ich das Wort hier blöd finde) entsteht dadurch, dass solche Veränderungen bewusst wahrgenommen werden und sich dagegen Widerstand regt.
Oder vielleicht wenn solche Veränderungen tatsächlich als Krieg empfunden werden, who knows.

In Europa verstärkt sich dieses Gefühl der Zuwanderung wohl noch stark durch das immer höhere Aufkommen an Flüchtlingen und Menschen, die hier einwandern wollen.
Und es wird durchaus wahrgenommen, wie sich auch Veränderung einstellt. Das betrifft scheinbar fast ausschliesslich den Islam, vor dem der Europäer sich wohl am meisten "fürchtet".

Ich will gar nicht darüber diskutieren ob man das als begründet erachtet oder nicht. Aber es gibt diese Änderungen, die in den Alltag hineinreichen.
Jedenfalls fehlt vielen westlichen Gesellschaften ein "kulturelles Immunsystem". Auch das meine ich wertfrei:In liberalen Gesellschaften haben wir kaum noch einen Konsens über Religion und (lokaler)Tradition.
Demzufolge fehlt es immer stärker an einer "kulturellen Identität". Mehr noch wandelt sich die kulturelle Identität in einer Ideologische: Man ist Weltbürger, man ist Kosmopolitisch, man ist Europäer, man ist Individualist usw. usf.
Konfrontiert wird unsere "Offenheit" hingegen mit einer sehr selbstbewussten kulturellen Geschlossenheit.
Die unvoreingenommene Frage ist, ob sich eine hinzukommende kulturelle Geschlossenheit in einer gesellschaftlichen Offenheit auflöst und vermischt.

Wir selbst (Westler) verstehen unsere Offenheit als das Ergebnis von etwas (was genau weiß keiner so Recht), was wir für überwunden halten.
Und wir sehen in dieser Offenheit selbst einen Wert, der wiederum aus konstruierten Ideologien zusammengesetzt ist.

Meine Ansicht ist, dass wir hier einem gewaltigen Irrtum unterliegen und dass wir den formalen Pluralismus, den wir haben und leben, mit einer fehlenden kulturellen Identität verwechseln.

Als Anzeichen sehe ich dafür eben die Tatsache, dass wir uns fast nur noch über Ideologische Werte definieren. Religion, Tradition und "Heimat" im alten Sinne, sind keine Attribute über die man sich heute definiert.
Was auch kein Wunder ist, denn die meisten Menschen wissen mehr über das Sexleben drittklassiger Promis als über ihr eigenes Land. Man erachtet es auch als geboten, möglichst viel über die "fremden Kulturen" zu lernen
und stöhnt gleichzeitig, wenn die eigene vermittelt werden soll. Große Teile der Kultur, die da zu uns kommt, besitzt eine starke Integrität, der wir mit unserem liberalen Offenheit nichts entgegenzusetzen haben.


Um auf die Frage zurückzukommen: Es wird eine Zeit kommen, in der offener und mit härteren Bandagen um die kulturelle Identität gerungen werden wird, dessen bin ich mir sehr sicher.
Und aus diesen Fragen kultureller Identität werden sich handfeste gesellschaftliche Veränderungen ergeben - begonnen hat es schon.

Darüber werden wir in den westlichen Staaten, ganz gewiss auch streiten.
 
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