[TdW 47] WCIT oder: Wem gehört das Internet?

Wie gut informierte Leser des HaBo-Blogs, dank Chromatins mehrteiliger Reihe über die WCIT längst wissen, wird derzeit in Dubai über die Zukunft (bzw. mögliche Zukünfte) des Internets gerungen. Staaten, Konzerne und Interessenverbände kämpfen gegen- & miteinander und versuchen alle ihre eigenen Interessen durchzusetzen - das immer gleiche, alte Spiel also. Das große Spiel.
Doch im Gegensatz zu vielen anderen Partien des großen Spiels, könnten Entscheidungen bei der WCIT, wenn z. B. die Netzneutralität endgültig beerdigt werden sollte, schnell dramatische Auswirkungen auf das Web haben, das wir alle kennen und lieben. Allen, die mehr über die Hintergründe erfahren wollen, seien noch einmal Chromatins Blog-Beiträge ans Herz gelegt und einen recht interessanten Artikel gibt es z. B. auch noch hier. Aber natürlich ist das ganze Web voll von Artikeln, Diskussionen & Beiträgen zu diesem Thema und solange wir (mehr oder weniger) unbeschränkten Zugang zu solchen Informationen haben, sollten wir sie auch nutzen - und verteidigen!
Daher darf natürlich auch das TdW hier nicht die Augen verschließen und stellt folgende Fragen: Wem gehört das Internet? Wer darf warum welche Regeln aufstellen oder brechen? Welche Zukunft für das Web wäre wünschenswert? Welche Zukunft ist realistisch? Was können wir tun um die Zukunft des Web nach unseren Vorstellungen zu gestalten?
 
Zuletzt bearbeitet:
Dankeschön :)

Um gleich anzuknüpfen, brauchen wir erstmal Überblick über "wem-gehört-was".

Vorweg: Bezahlt wird das Internet in den meisten Teilen vom Internetnutzer. Die Telkos quaken bei einer Aussage zwar rum, aber von wem bekommen sie das Geld (von eigenen Kapitalbecken mal abgesehen)?

Grob gesagt existiert folgende Kette:

InternetUser -> ISP -> (Backbonebetreiber) <-> InternetExchangePoints (zB DECIX in Frankfurt). Nun "gehört" uns das Netz in diesem Sinne genausowenig, wie ich einen Polizisten dazu nötigen darf, meinen Hof zu fegen - obwohl er von mir bezahlt wird.

Gehört es uns im Sinne einer "Hoheit"? In jedem Land gelten Gesetze, die vom Gesetzgeber erlassen werden. Darin (und transnationale Abkommen) ist festgelegt, wie mit der Ressource auf ganz tiefer Ebene umgegangen wird, bis hin zu der Frage, welcher Inhalt überhaupt zulässig ist.
Auch hier kann man feststellen, dass uns das Internet im Sinne einer Hoheit, wie es einem legitimen Herrschaftsbereich entspricht, auch nicht gehört.

Wir könnten sagen, die Erfindungen, die die moderne Kommunikationstechnologie im Markt zu Produkten reifen lässt, gehören uns. Aber leider auch das stimmt nicht ganz, denn viele der Ideen die an den Unternehmenseigenen Forschungsinstituten (auch manchmal Universitäten genannt) entwickelt werden, wandern direkt in das Patentportfolio eines grossen Unternehmens.

Was bleibt?

Die Idee einer (wahrhaft) grenzenlosen Kommunikation. Ein Netzwerk, dass in technischer Hinsicht auschliesslich auf einem Konsens basiert, der die bestmöglich technische Lösung zum Ziel hat (IETF). Die Idee eines ganz spontanen Gedankenaustauschs, egal wer mit wem - free speech - freedom of Expression...

Aber wer sind "wir"? Es ist immer die Rede von der Usercommunity, DEM Internetuser usw... aber wer genau ist das?
- DER Facebookuser?
- Nutzer, die das Internet als Shoppingmeile sehen
- Nutzer, die ihren PC und Internetzugang mehr als Spielekonsole wahrnehmen?
- Sogenannte Netzaktivisten, die wegen Vorratsdatenspeicherung auf die Barrikaden gehen?

Nach meiner Erfahrung - DIESE Leute sind es nicht und die "anderen", DIE Usercommunity der "Idee" des ganzen Spektakels sind auf wenige Tausend Leute zusammengeschrumpft - bei einem Aufkommen von mehreren Milliarden Usern.

Was da gerade in Dubai passiert ist kritisch, ja, aber letztlich nur ein weiteres Manöver der Regierungen. Der Wunsch, die Netzverwaltung in die ITU zu verfrachten ist nicht neu, diese Argumente waren von Anfang an dabei.
Neu ist diesmal der Versuch die ganze Nummer mit den ITRs durchzuschieben.

Ich sage das nicht als Schwarzmaler, aber der Zug ist mehr als abgefahren und ich habe hauptsächlich das "movement" der Bewegung der letzten 10 Jahre studiert - nicht das Detail, sondern von ganz oben.

Was die (engagierten) Leute im IGF Umfeld tun, ist Schadensbegrenzung, indem man die Internetverwaltung endlich in einen echten "freien" Status hievt, ohne die Versteckte Leine der USA, mit der sie ICANN halten (obwohl das in der Praxis nie ein Problem war, denn in der Hinsicht haben sich die USA vorbildlich verhalten). Sicher ist jedenfalls, dass die herkoemmliche Internetverwaltung über kurz oder lang in staatliche Obhut fällt.
Und das ist für die meisten Internetnutzer auch gar kein Problem, denn die oben aufgezählte Gruppe bleibt davon praktisch unberührt und für die Netzaktivisten gibts einfach ein grösseres Betätigungsfeld.

Was weg ist, ist "lediglich" die Idee und die Tatsache, dass wir immer noch irgendwie entscheiden können wohin wir unsere Pakete routen.

Das wirklich traurige an der Sache ist: Die bisherige Internetverwaltung ist für jedermann offen. Jeder kann sich beteiligen und stark machen. Jeder kann zu jedem ICANN/IGF Meeting fahren und ist herzlich willkommen.

Tatsache ist, zwangsweise, DER Internetuser, der ganz normale User, the Ordinary, unterscheidet sich in keinster Weise von denjenigen Leuten, die sich im TV Talkshows reinpfeifen und 0900er Nummern anrufen, Ihre Zeit totschlagen, früher mit Fernsehen glotzen, heute mit "rumsurfen" oder Spielen oder einfach nur shoppen bis der Arzt kommt.

So what..?
 
Ich denke die Frage wem das Internet gehört hat sich erledigt.
Das Ende des uns bekannten Internet's ist bereits eingeläutet und daran werden
auch Organisationen wie das IGF nichts ändern. Es wird keinen Konsens geben,
dafür sind schlichtweg die Interessen der Akteure zu unterschiedlich und die realen
Machtverhältnisse sprechen eben eine andere Sprache, wie die Zusammenstellung
dieser Organisationen.
Mit der Standardisierung der DPI (ITU-T Y.2770) muss eigentlich jedem klar werden,
dass damit nicht nur die Netzneutralität aufgegeben wird, sondern auch die private Kommunikation
leicht gefiltert werden kann.

Das Bedauerliche daran ist eigentlich es ist die logische Konsequenz aus der Entwicklung
des Internets von einer Informations- und Kommunikationsplattform zu einer
Unterhaltungsplattform, weswegen ein Grossteil der User auch nichts davon
merken wird und wie seither die Nutzungsbedingungen ungelesen wegklicken wird.

Gruss
 
Was den von dir verlinkten Artikel angeht, ist der inhaltlich an eingen Stellen falsch.

1. Man hat sich auf keinen DPI Standard geeingt, sondern man hat sich auf den Entwurf eines Vorschlags geeingt.

2. Kann ich auch mittels DPI nicht eine Verschlüsselung aushebeln - was da auf "entsprechende Technik" verlagert wird.


Aber davon abgesehen:

Für viele Staaten ist die jetzige Situation bzlg. der Internetverwaltung nicht hinnehmbar, was in Teilen durchaus nachvollziehbar ist. Für die Zukunft gibt es imho drei realistische Szenarien:

1) ICANN wird noch weiter privatisiert und formal wirklich unabhängig. Derzeit ist die ICANN noch an die amerikanische Telekomunikationsbehörde (NTIA) gebunden, die dem US Handelsministerium unterstellt ist. Gleichzeitig wird der Multistakeholdernsatz weiter ausgebaut.

2) Die Rolle ICANNs, also die Verwaltung von DNS und IP Adressvergabe, wird langfristig einer Verwaltung durch die UNO - ITU - unterstellt. Zuerst die IP Adressvergabe und dann auch DNS

3) Szenarien 1 und 2 dauern zu lange und einige Staaten beginnen damit, sich systematisch aus der "legacy root" zu entfernen. Mithilfe von DNS Extensions ist es möglich eine eigene DNS Infrastruktur zu schaffen, die leicht kontrollierbare Kanäle zum "offenen" Internet hat. Die bisherige Root würde als eine Art Meta-DNS fungieren in das viele kleine Staatennetze eingebettet wären.


Szenario 3 ist sowas wie eine forcierte Exit-Strategie, die wahrscheinlicher wird, je mehr Zeit bis zum Szenario 1 oder 2 verstreicht.

Szenario 2 ist für viele Staaten und grosse Unternehmen attraktiv und wird wahrscheinlicher, je mehr Zeit für die Realisierung von Szenario 1 verstreicht. Eine Mitsprache der Nutzergemeinde ist innerhalb der ITU nicht möglich. Ebenso arbeitet die ITU nicht konsensbasiert. Letztendlich würde das Netz, bei der Verwaltung der Internetressourcen, also tatsächlich von Beamten betrieben werden.


Szenario 1 bietet die vernünftigste Alternative, sofern man als Ausgangspunkt einen eher demokratischen Ansatzpunkt verfolgt und nicht primär Kontrolle im Sinn hat. Auch ist in Szenario 1 auch das grösste Mass an Freiheit implementiert, da sich jeder innerhalb der Institution frei äussern kann und soll. Zusätzlich sind ein grossteil der vorhandenen Strukturen sinnvolle Werkzeuge, um ICANN tatsächlich unabhängiger von Staaten zu machen.

Wie ich schon oft erwähnte, kann bei ICANN jeder mitmachen und kostet auch nichts. Jeder der ICANN einen Brief schreibt, bekommt Antwort ;)

Selbst aus rein ökonomischen Gründen ist Szenario 1 am sinnvollsten, da die nötigen Kompetenzn um das System erfolgreich zu betreiben, seit vieln Jahren vorhanden sind - juristisch, diplomatisch und auch technisch. Im Grunde sind also alle Vorrausstzungen vorhanden, die eine direkte Beteiligung an einer sinnvollen Arbeit (Realisierung von Szenario 1) ermöglichen - doch warum passiert das nicht?

Möglicherweise ist die so viel gepriesene Freiheit also gar nicht so relevant für die meisten Menschen, denn für die allermeisten Menschen, die in Freiheit leben und sie angeblich auch sehr schätzen, ist es offenbar eine Zumutung sich ab und zu mal etwas zu engagieren - man muss dafuer noch nichtmal aus dem haus gehen.

Immerhin und letztendlich - es ist nur das Internet..
 
Also beim durchlesen meines Beitrags habe ich festgestellt, dass ich tatsächlich
den Eindruck hinterlassen habe der "DPI-Standard" wäre schon durch. Es ging
mir eigentlich mehr darum zu zeigen wohin die Interessen von zwei Gruppen der
Multistakeholder geht, wenn wir hier uns grob auf drei Gruppen (Bereitsteller, Staaten
und User) einigen können.
Du hast natürlich auch recht, wenn du sagst Verschlüsselung ist damit nicht zu knacken,
jedoch wird es mit einfachen Mitteln möglich sein entsprechende Pakete zu filtern,
verwerfen, speichern... je nach Bedarf und Intention.
Zuletzt sehe ich die dritte Gruppe der User doch eher so, dass ihr ein ruckelfreies
Videostreaming und die Sicherheit vor Terroristen wichtiger ist als eine nicht
genutzte oder wahrgenommene Freiheit. X(
...sofern man als Ausgangspunkt einen eher demokratischen Ansatzpunkt verfolgt....
Die meisten Akteure in dem ganzen Spiel dürften an "Demokratie" kein Interesse
oder davon keine Ahnung haben.

Gruss
 
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