[TdW 57] Brauchen wir eine amerikanisch-europäische Freihandelszone?

Diesmal beschäftigt sich das TdW mit einem Thema das, obwohl es imho recht bedeutend ist, irgendwie im Schatten des Pferdefleischskandals und der blutigen Tragödie im Hause Pistorius untergeht: Der plötzlich neu aufgekommenen Idee einer Freihandelszone zwischen den USA und der EU. Es war Vize-Präsident Joe Biden, der den Vorschlag auf der Münchner Sicherheitskonferenz, für mich völlig überraschend, aus dem Hut zog und die EU Regierungschefs haben praktisch umgehend ihre Unterstützung signalisiert. Für Präsident Obama ist das Anliegen, laut seiner Rede zur Lage der Nation, gar eines der wichtigsten Vorhaben seiner zweiten Amtszeit und manche reden schon von der "Wirtschafts-NATO".
Die Wirtschaft würde sich über sinkende Zölle und fallende Handelsschranken sicherlich freuen, doch ein Freihandelsabkommen würde auch Angleichung von wirtschaftlichen Standards und den Wegfall von Importverboten bedeuten. Und diese "wirtschaftlichen Standards", z. B. bei Löhnen, Arbeitsrecht und Verbraucherschutz, sind in der EU idR deutlich höher. Der Wegfall von Importverboten könnte dagegen z. B. die Einfuhr von, in Europa weitgehend abgelehnten, genetisch veränderten Lebensmitteln ermöglichen.
Der Vorschlag kam praktisch aus dem Nichts und doch scheint die Politik ungewöhnlich fest auf's Gaspedal zu treten. Die Wirtschaft, hüben wie drüben, scheint sich Vorteile zu versprechen - doch was ist mit den Menschen? Dürfen Arbeiter und Verbraucher auch mit Vorteilen rechnen? Oder ziehen hier Wirtschaftslobbyisten mal wieder nur zu Gunsten der Großkonzerne die Fäden? Ist die Freinhandelszone, von Kritikern schon halb spöttisch und halb ängstlich Ozeanien genannt, gar der nächste Schritt zu einer neuen Weltordnung? Oder, weniger überspitzt, brauchen wir eine amerikanisch-europäische Freihandelszone?
 
Obwohl ich nicht so bewandert im Thema bin, sind meine Gedanken dazu:

- Zugangserleichterung für Agrarexporte. Langfristig wird dies wohl für eine Importverwässerung genetisch veränderter Lebensmittel sorgen.

- Stärkerer Schutz von geistigem Eigentum. Was im Prinzip lediglich dazu führt überzogene Copyright Vorstellungen von US-Lobbyisten verstärkt in der EU durchzusetzen.

Wie gesagt. Ich kenne mich damit nicht sonderlich gut aus, aber das fällt mir spontan dazu ein. Ich kann es nicht befürworten und bin gegen eine Freihandelszone mit den USA. Bin auf weitere Antworten gespannt - vielleicht auch solche, die positive Aspekte beleuchten?
 
Ich schliesse mich mal dem Vorredner an - ich habe auch auch kaum Ahnung von Wirtschaft. Aber hoffentlich reicht es aus, um einigermaßen klar meine Vermutungen zu begründen.

http://www.finanznachrichten.de/nachrichten-2013-02/26000939-roesler-will-weitreichendes-freihandelsabkommen-mit-usa-016.htm hat gesagt.:
Die Vorteile einer transatlantischen Wirtschaftsunion sind danach umso größer, je mehr die Regierungen Handelsschranken zwischen den Regionen abbauten.
Würden nur die Zölle abgeschafft, stiege das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in der EU und den USA allenfalls um 0,1 beziehungsweise 0,2 Prozent. Mehr wäre laut Ifo zu erwarten, wenn die Regierungen auch gemeinsame technische Normen, Sicherheitsstandards oder Wettbewerbsvorschriften einführen würden. Die Handelsströme über den Atlantik könnten um mehr als das Dreifache anwachsen
...
"Wenn aber China das Abkommen als Affront sehen würde, könnte das heimischen Unternehmen schaden." (DIHK-Au ßenwirtschaftschef Volker Treier ) .

Ich vermute, dass die USA und Europa diese Handelszone politisch nutzen, um ihre Weltmacht klar gegen China und Indien abzugrenzen. Die Unternehmen innerhalb dieser Zone können demnach gut wachsen und werden höchst wahrscheinlich aufgrund des Abbaus von Zöllen weniger aus Ländern ausserhalb der genannten Zone importieren.
Auf diese Weise können Stammwirtschaftszweige in Europa und Amerika gehalten werden und wandern nicht wegen den Vorteilen der Billiglohnländern (niedrigere Umweltauflagen, weniger Sozialabgaben) ab. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Wirtschaftswachstum in China stagniert erhöht sich, womit große innenpolitische Probleme verbunden wären, da die Chinesen [zumindest laut einiger Berichte des Spiegels] ihre Regierung nur aufgrund des Wachstums akzeptieren.
Die High-Tech-Industrie und Forschungszweige werden zudem auch in den "alten Ländern" bleiben, weil die Infrastruktur durch die Freihandelszone noch weiter verbessert wird.
Ausserdem kann ich mir gut vorstellen, dass Finanzgeschäfte auch unterschiedlich besteuert werden.
=====> Fazit Nr.1: Die alten imperialistischen Länder wollen ihre Herrschaft über ehemalige Kolonien zumindest indirekt behalten und sie am Ausbau ihrer Unabhängigkeit hindern. Moralisch gesehen ist das äusserst schlecht, von unserem Standpunkt aus jedoch in den meisten Fällen nützlich.

Problematisch werden meiner Meinung nach die Angleichungen der Standarte. Ich zweifle nicht an, dass dies umbedingt nötig sei, allerdings wird es - wie schon der Vorredner gesagt hat - für uns wohl eher von Nachteil sein. Ich kann mir bei dem Patriotismus der Amerikaner nicht vorstellen, dass sie viele Zugeständnisse machen werden und ich persönlich mag unser Sozialsystem, die metrischen Einheiten und nicht genmanipulierte Pflanzen.
Es sprechen auch nicht nur individuelle Bedürfnisse dafür, sondern auch nachhaltige Weltansichten. Das Auseinanderdriften von Arm und Reich und der Anbau genmanipulierter Pflanzen wird zu 99% große Nachteile für den Planeten und seine Bewohner haben.
 
Wozu brauchen wir ein Freihandelsabkommen mit den USA? Was bringt uns das? Warum gibt es überhaupt Handelsbeschränkungen?

Primär dienen Handelsbeschränkungen dazu den heimischen Markt zu schützen. Man möchte verhindern, das einheimische Unternehmen durch billigere Waren vom Markt gedrängt werden.
Sekundär kann man damit auch schwache Länder klein halten, indem man ihnen den Export praktisch unmöglich oder sehr teuer macht.

Die Wirtschaft würde sich über sinkende Zölle und fallende Handelsschranken sicherlich freuen
Tja, nur welche Wirtschaft? Die USA verschiffen ihre Boengs, IBMs, Apples, Microsofts, Coca Colas, Duponts, Lockheed Martins und Colts nach Europa. Und Deutschland (um es mal nationaler zu betrachten), verfrachtet stattdessen Siemens, Bosch, VW, BASF, Adidas, ThyssenKurpp, Bayer und MAN ins Amiland. Hurra! Jetzt kriegen die multinationalen Giganten noch größere, noch günstigere Absatzmärkte!
Aber nicht nur das. Es gibt auch Firmen wie BPW, Putzmeister, WILO, Grimme oder Sachtler. Mittelständische Unternehmen die niemand kennt, die aber weltweit berühmt und gesucht für ihre Qualität sind. Im Moment sind die, gerade auch in den USA, TROTZ des Zolls sehr begeehrt. Können die sich aber auch dann noch halten, wenn, angeregt durch die Öffnung der Märkte weniger renomierte Hersteller auf die Märkte strömen? Und was ist mit jenen unter diesen Unternehmen, die eher auf den Binnenmarkt bedacht sind?
Im Endeffekt saugen die Übergroßen wieder alle Vorteile auf und die kleinen haben das Nachsehen.

doch ein Freihandelsabkommen würde auch Angleichung von wirtschaftlichen Standards und den Wegfall von Importverboten bedeuten. Und diese "wirtschaftlichen Standards", z. B. bei Löhnen, Arbeitsrecht und Verbraucherschutz, sind in der EU idR deutlich höher.
Ich denke nicht, dass die USA ernsthaft eine Rolle im Faktorpreisausgleich spielen könnten. Die meisten EU-Länder produzieren ohnehin schon, genauso wie die USA, Kapitalintensiv. Insbesondere Deutschland hat unter der EU-Osterweiterung gelitten und viel Arbeitsintensive Produktion dorthin verloren. Vielleicht könnten die USA in diesem Sinne England noch negativ beeinflussen, aber die werden sich da eh raushalten.

Der Wegfall von Importverboten könnte dagegen z. B. die Einfuhr von, in Europa weitgehend abgelehnten, genetisch veränderten Lebensmitteln ermöglichen.
Auch das denke ich nicht. Immerhin wird das Zeug bereits jetzt massenhaft eingeführt - verboten ist das ja nicht. Auch nicht seine Verwendung/sein Vertrieb. Schon jetzt sind wir in der perversen Situation, das an unser Nutzvieh "Gensoja" und "Genmais" aus Südamerika verfüttert wird. Vielleicht würden dadurch die Preise etwas sinken, aber es muss immernoch deutlich auf den verarbeiteten Lebensmitteln deklariert werden. Es ist ohnehin fraglich, ob die Preise überhaupt sinken, da sowohl die USA, als auch die EU ihre jeweiligen Agrarsektoren bis zum Erbrechen subventionieren.


Zu China:
Nach wie vor sind die USA die größte Volkswirtschaft der Welt. Nimmt man die EU als gemeinsamen Wirtschaftsraum ist das BIP hier sogar nochmal ein gewaltiges Stück größer. Selbst Deutschland, als ein so winziges Land macht noch einen großen Teil der Weltwirtschaft aus.
Wobei das BIP als solches natürlich auch nur Murks ist. Ich denke die hysterische Diskussion über "die gelbe Gefahr) ist übertrieben. Was wir nur so häufig durch China und insbesondere den Osten der EU spüren, sind die Folgen des Faktorpreisausgleiches. Gerade Deutschland hat noch sehr lange, dank völliger Verwüstung im Weltkrieg und Marshal-Plan, sehr günstige Arbeitskraft zur Verfügung gehabt. Dank traumhaftem Wachstum und Gewerkschaftsarbeit sind die Preise aber stark gestiegen und plötzlich fällt doch tatsächlich der doofe eiserne Vorhang, plötzlich waren da die offenen Märkte nach EU-Ost und extremst billige Arbeitskräfte in Südostasien.Natürlich wandern jetzt die Unternehmen ab um die überbewertete Lohnpreisblase zu korrigieren. China ist ein Niedriglohnland. Die USA und alle EU-Mitglieder westlich von Deutschland sind kapitalstarke Länder mit hohen Lohnstückkosten. Den Faktorpreisausgleich beeinflusst es überhaupt nicht,. wenn die USA zum potentiellen neuen Absatzmarkt für europäische Arbeitskraft wird.

Eher schon kann man den ganzen Spaß als eine Aktion gegen Japan sehen. Von der Warte aus würde es auch in die Zeit passen und fiele nicht einfach plötzlich als göttliche Eingebung in die Köpfe der Politiker. Auch Japan ist ein sehr kapitalstarkes Land mit enormen Lohnstückkosten und hervorragenden Produkten, die jedem deutschen und amerikanischen Produkt jederzeit Konkurrenz machen können. Und die Japaner sind gerade dabei fleißig Inflation zu produzieren, weil ihre Produkte auf dem Weltmarkt so überproportional teuer sind (und dennoche in BIP fast so groß, wie das von China!).
 
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