[TdW 66] Sind Bürgerrechte nur noch aufkündbare Privilegien?

Diesmal beschäftigt sich das TdW mit einer Frage die uns alle angeht: Sind Bürgerrechte nur noch Privilegien, die der Staat nach Gutdünken mal gewähren und mal entziehen kann?
Nach den Anschlägen des 11. September haben die USA mit dem Patriot Act die Bürgerrechte massiv eingeschränkt und viele Staaten sind diesem Beispiel gefolgt. Im Zuge des War on Terror wurden immer wieder rechtstaatliche Prinzipien beschnitten, umgangen oder schlichtweg über Bord geworfen. Man hat Verdächtige entrechtet, in dem man sich weder als Kriminelle, noch als Soldaten sondern als "feindliche Kämpfer" eingestuft hat, die man auch ohne konkrete Anklage oder ordentliches Gerichtsverfahren in Geheimgefängnisse verschleppt und teilweise jahrelang (z. B. in Guantanamo befinden sich ja immer noch Gefangene) eingesperrt hat. Seelische und körperliche Erniedigungen und Misshandlungen, auch Folter genannt, wurden systematisch angewandt - ermöglicht durch den praktisch rechtlosen Status des "feindlichen Kämpfers" und die Tatsache das sich die Gefängnisse nicht auf amerikanischen Boden befanden.
Aber auch in den USA (und anderen Staaten) wurden Rechte eingeschränkt, Befugnisse für Polizeibehörden & Geheimdienste erweitert und gleichzeitig Schutzmechanismen (z. B. durch richterliche Kontrolle) gelockert oder ganz abgeschafft.
Welche Ausmaße die staatliche Willkür mittlerweile angenommen hat, zeigt der Umgang mit dem überlebenden Bombenattentäter in Boston:
Unmittelbar nach Zarnajews dramatischer Festnahme bestätigten US-Justizkreise, dass der schwerverletzte 19-Jährige nicht auf seine "Miranda-Rechte" hingewiesen worden sei, sondern zunächst ohne Rechtsbeistand befragt werden solle, sobald er ansprechbar sei. Damit will man ihm wohl auch so viele Informationen wie möglich entlocken - so dass er Zeuge der eigenen Anklage wird, bevor er dicht macht.
Quelle: Boston: Welche Rechte hat der Attentäter Dschochar Zarnajew? - SPIEGEL ONLINE

Offensichtlich ist es schon so weit gekommen, dass die Ermittlungs- & Strafverfolgungsbehörden nach eigenem Gutdünken entscheiden, wem sie die üblichen Bürgerrechte zugestehen und wem sie diese entziehen...X(

Das TdW stellt daher die Frage: Sind Bürgerrechte nur noch Privilegien, die willkürlich gewährt oder entzogen werden können?
 
Was haben die USA denn mit uns zu tun? Die haben schon eigentlich immer eine etwas seltsame Auffassung von Rechten gehabt - gegenüber eigenen Bürgern, aber noch viel extremer gegenüber ausländischen.
Die Amis sind stets die ersten die Missstände in anderen Ländern anprangern, gleichzeitig aber mit übelsten Diktatoren und Regimen (an erster Stelle Saudi-Arabien!) kollaborieren oder diese gar einsetzen. Sie sind auch die Ersten, wenn es darum geht Aufstände in irgendwelchen Ländern anzuzetteln oder gar gleich einzumarschieren und Zivilisten und verbündete Einheiten zu bombadieren. Die USA sind die weltweiten Anführer der weißen Heuchelei.
Wann hatten die denn das letzte Mal was mit Menschenrechten zu tun? Nur weil die vor fast 250Jahren eine recht glückliche Revolution gegen die britische Krone geführt haben (i.e. blutiger Krieg gegen eine Steuer auf Luxusgüter)? Oder weil sie die Sklaverei abgeschafft haben nur damit sich hinterher die ganzen weißen Hinterwäldler unter weißen Kapuzen zusammenrotten? Oder weil die USA als heiliger Georg gefeiert werden, der im Alleingang den Lindwurm Hitler ausgeschaltet hat?
Ich kann verstehen, dass ein Amerikaner, der sein Leben lang auf Patriotismus getrimmt wurde ernsthaft denkt, dass die USA einsupertolles lilagummibärchenwunderland unter dem Regenbogen sind. Aber warum die Hierzulande häufig als eine vorbildhafte, strahlende Heldennation gefeiert werden, entzieht sich meinem Verständnis.
Die völlig übertriebene Aktion gegen einen Mann, von dem man "nur" wusste, dass er eine Schießerei am MIT gestartet und dabei "nur" einen Menschen getötet hat, ansonsten nur verdächtigt wurde, passt einfach zu gut ins Bild. Fehlte nur noch, dass sie Panzer einsetzen oder einen Nuklearschlag gegen die Stadt planen. Wahrscheinlich werden jetzt wieder irgendwelche Rechte eingeschränkt.
Und wer weiß: Hätten die Amis nicht ohnehin schon Militärbasen in Aserbatschan würden sie vielleicht einen Militärschlag gegen diese Nation führen. :rolleyes:

Aber zum Thema "Sind Bürgerrechte nur noch aufkündbare Privilegien":Ja, meiner Meinung nach sind sie das, waren es immer und werden es immer bleiben. Bürgerrechte werden meist erkämpft und müssen durch fortwährenden Kampf aufrecht erhalten werden. Auch in Deutschland. Nichts von dem was wir als einen, uns unbegreifbaren, Luxus hier erleben ist uns geschenkt worden. Für alles haben vorige Generationen , oft blutig, gekämpft.
 
Auf der anderen Seite muss man zugeben, dass solchen "Pannen" wie bei der Aufklärung der NSU-Morde drüben wahrscheinlich nicht passiert wären.
Ich denke doch. Diese "Pannen" waren ja keineeinfachen Schnitzer, sondern basierten auf Vorurteilen, wenn man einen freundlichen Begriff wählt, oder Rassismus, wenn es ein harter sein soll. Im Amiland verdächtigt man ja auch erst den großen, schwarzen Mann. Immerhin: bei uns gabs nen Aufschrei, dort kümmerts keinen mehr.
 
Das TdW stellt daher die Frage: Sind Bürgerrechte nur noch Privilegien, die willkürlich gewährt oder entzogen werden können?

Ich beziehe mich mal auf Deutschland.

Artikel 18 GG

Wer die Freiheit der Meinungsäußerung, insbesondere die Pressefreiheit (Artikel 5 Absatz 1), die Lehrfreiheit (Artikel 5 Absatz 3), die Versammlungsfreiheit (Artikel 8), die Vereinigungsfreiheit (Artikel 9), das Brief-, Post- und Fernmeldegeheimnis (Artikel 10), das Eigentum (Artikel 14) oder das Asylrecht (Artikel 16a) zum Kampfe gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung mißbraucht, verwirkt diese Grundrechte. Die Verwirkung und ihr Ausmaß werden durch das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen.

Also: Grundsätzlich ist es vorgesehen, dass jemandem, der die Grundrechte bekämpft, diese auch entzogen werden koennen. Man kann davon ausgehen, dass dieser Artikel sich in erster Linie gegen einen "Hitler" bezieht und im weiteren Sinne auf jegliche Gruppierung die sich gegen unser Grundrecht verschworen hat und unter dem Schutz derselben steht.


Im Artikel 19 GG gehts dazu weiter, besonders Absatz 2

(1) Soweit nach diesem Grundgesetz ein Grundrecht durch Gesetz oder auf Grund eines Gesetzes eingeschränkt werden kann, muß das Gesetz allgemein und nicht nur für den Einzelfall gelten. Außerdem muß das Gesetz das Grundrecht unter Angabe des Artikels nennen.

(2) In keinem Falle darf ein Grundrecht in seinem Wesensgehalt angetastet werden.

(3) Die Grundrechte gelten auch für inländische juristische Personen, soweit sie ihrem Wesen nach auf diese anwendbar sind.

(4) Wird jemand durch die öffentliche Gewalt in seinen Rechten verletzt, so steht ihm der Rechtsweg offen. Soweit eine andere Zuständigkeit nicht begründet ist, ist der ordentliche Rechtsweg gegeben. Artikel 10 Abs. 2 Satz 2 bleibt unberührt.

Dieser Absatz 2 ist eine "Wesensgehaltsgarantie", die uns Bürgern garantiert, dass ein Grundrecht in seinem "Kern" nicht verhandelbar ist (Artikel 2 GG) (Tatsächlich gibt es aber auch eine Notstandsgesetzgebung, die eine Einschränkung dieser Grundrechte sehr wohl ermöglicht, etwa das Fernmeldegeheimnis).

Die Wesensgehaltsgarantie kommt dann zum Tragen, wenn sich die Frage nach der Gewährung eines Grundrechts auf einen EINZELNEN bezieht.

Dazu liest man bei der Bundeszentrale für politische Bildung:

Wesensgehaltsgarantie

das in Art. 19 Abs. 2 GG dem Gesetzgeber auferlegte Verbot, ein Grundrecht "in seinem Wesensgehalt" anzutasten. Grundrechte gelten nicht uneingeschränkt, sondern können aus Gemeinwohlgründen, besonders zur Gewährleistung eines gesellschaftsverträglichen Freiheitsgebrauchs, gesetzlich beschränkt werden; die Wesensgehaltsgarantie setzt dem grundrechtsbeschränkenden Gesetzgeber seinerseits eine Grenze. Es ist umstritten, ob mit der Wesensgehaltsgarantie ein in jedem Einzelfall unantastbarer Kern geschützt (so die wohl herrschende Meinung) oder nur das Verhältnismäßigkeitsprinzip garantiert ist.


Quelle: Duden Recht A-Z. Fachlexikon für Studium, Ausbildung und Beruf. 1. Aufl. Mannheim: Bibliographisches Institut & F.A. Brockhaus 2007. Lizenzausgabe Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung 2007.


Nehmen wir z.B. an, in Berlin explodiert eine Bombe. 100 Menschen sterben. Der Attentäter wird gefasst und es ist erwiesen, dass er mit seiner Tat 1. die Grundrechte bekämpft und 2. Teil eines (wie auch immer orientierten) terroristischen Netzwerks ist. Zu guter Letzt ist er deutscher Staatsbürger.

Wie soll der Staat diese Person "behandeln"? Auf der einen Seite muss der Staat die Grundrechte gewähren - auf der anderen Seite muss der Staat aber auch dafür sorgen das seine Prinzipien nicht zersetzt werden - nämlich die Macht der Gewährung dieser Prinzipien. Und diese Macht darf nicht durch Terror untergraben werden. In einem solchen Fall wird man sich über die Verhältnismässigkeit Gedanken machen müssen.


Letztendlich gehen Dinge wie Vorratsdatenspeicherung, ACTA, Telefonüberwachung, Lauschangriff etc. etc. auf die Frage zurück, inwieweit der Staat ueberwachen und kontrollieren darf (und muss) um die Grundrechte zu schützen. Bezogen auf moderne Technologie wird wieder mal mehr als deutlich, dass uns die Technologie Kontrolle bringt - keine Freiheit.


Um also die TDW zu beantworten: Nein, die Bürgerrechte/Grundrechte können nicht "mal eben so" entzogen werden und willkürlich schonmal gar nicht. Auch die Amis arbeiten mit "juristischen Tricks" bei ihrer Folter und den neuen Internierungslagern.

Man muss sich aber Fragen, inwieweit einzelne Politiker den Bogen überspannen und sich auch mal klarmachen dass nicht "der Staat" als solches der Schuldige ist. Unser Problem sind dumme Politiker und ein desinteressiertes Volk. Dazu kommt die Tatsache, dass unsere Verfassung vor der Aufgabe steht, die Möglichenkeiten der Hochtechnologie mit einer Welt, die offline funktioniert, zu verbinden. Traurigerweise werden diese elementaren Themen nicht von Leute mit Verstand behandelt - zumindest nicht ausreichend.



Zu der Frage ein spannender Fall: DER SPIEGEL 51/1992 - Höhere Weihe

Ausserdem ist der Film "Unthinkable" ziemlich passend zu diesem Thema und stellt teilweise sehr geschickt die Frage Grundrecht vs. Staatsschutz.
 
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