[TdW 75] Politiker-Reaktionen auf PRISM & Co - alles nur geheuchelt?

Seit Wochen beschäftigt sich die Welt mit dem Material über die zügellosen Überwachungsprogramme amerikanischer und britischer Geheimdienste, das Edward Snowden den Medien zugespielt hat und dessen ganzes Ausmaß der Öffentlichkeit seitdem von namhaften Zeitungen wie dem Guardian, der Washington Post und dem Spiegel scheibchenweise enthüllt wird.
Zuerst erfuhr die Öffentlichkeit von PRISM, einem Überwachungsprogramm das es NSA und FBI ermöglicht die weltweite digitale Kommunikation zu überwachen, wobei auf die Daten der größten Internetkonzerne wie z. B. auf Apple, Google, Microsoft und Facebook zugegriffen wird. Dann erfuhren wir das die Briten es sogar noch ärger treiben sollen und mit TEMPORA die Daten von Knotenpunkten und Glasfaserkabeln vollständig abgreifen und bis zu 30 Tage speichern sollen. Politiker in aller Welt heuchelten Erstaunen ob dieser Praxis, gaben aber - wie z. B. der deutsche Innenminister Friedrich - zu verstehen das Überwachung nun einmal notwendig sei. Auch angesichts der Tatsache das Deutschland besonders stark von der PRISM-Schnüffelei betroffen war (bzw. ist), hatte der Minister überhaupt kein Problem damit, dass Millionen von Bundesbürgern unter Generalverdacht gestellt und ihre Kommunikation überwacht, analysiert und gespeichert wurde. In einer Bundestagsdebatte zu der Affäre zog er es daher vor lieber die Berichterstattung anzuzweifeln, als die Rechtmäßigkeit von PRISM:
"Was ist dran an diesen Presseberichten? Wir haben ja bislang nur Meldungen, und wir haben Stellungnahmen, wonach die Presseberichte nicht zutreffend sind", sagt der CSU-Mann, der eine optimistische Haltung offenbart: "Ich gehe davon aus, dass unsere amerikanischen Freunde ein ähnliches Rechtsverständnis haben wie wir", sagt Friedrich.
Quelle: Bundestag über Snowden und Prism: Postboten gegen Spione - Politik - Süddeutsche.de
Kürzlich ließ er sich sogar zu der entrüsteten Aussage "so geht man nicht mit Freunden um" hinreißen - womit der CSU-Mann aber nicht die Schnüffelpraxis der Geheimdienste, sondern die Kritik daran meinte:
„So geht man nicht mit Freunden um, die im Kampf gegen den Terrorismus unsere wichtigsten Partner sind“, sagte der Minister der „Welt am Sonntag“. Friedrich betonte, Deutschland sei von Datenzulieferungen aus den USA abhängig.
Quelle: Prism-Skandal: Innenminister Friedrich verteidigt US-Datenschnüffler - Politik - Tagesspiegel
Der Innenminister - der bekanntlich selbst ein Fan von Dingen wie Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung, Bundestrojanern und Aufhebnung der "Anonymität im Netz" ist - argumentiert also dahingehend, dass die Überwachung schon irgendwie rechtmäßig sein wird und ohnehin lediglich dem Kampf gegen den Terror dient. Mit dem Kampf gegen den Terror wird ja alles begründet was unmoralisch oder illegal ist und gegen verbriefte Bürger- und Menschenrechte verstößt.
Allerdings würde mich in diesem Kontext doch interessieren, wie er die neuesten Veröffentlichungen des Spiegel so wegrelativieren will:
Die amerikanische National Security Agency (NSA) überwacht nicht nur die Kommunikation europäischer Bürger, sondern späht offenbar auch gezielt Gebäude der EU aus. Das geht aus geheimen Dokumenten hervor, die der Whistleblower Edward Snowden besitzt und die der SPIEGEL in Teilen einsehen konnte. In einem als "streng geheim" eingestuften Papier der NSA vom September 2010 wird beschrieben, wie der Geheimdienst die diplomatische Vertretung der EU in Washington attackiert. Demnach wurden nicht nur Wanzen in dem Gebäude im Zentrum der US-Hauptstadt installiert, sondern auch das interne Computernetzwerk wurde infiltriert. Auf diese Weise bekommen die Amerikaner nicht nur Zugang zu Besprechungen in den Räumlichkeiten der EU, sondern auch zu E-Mails und internen Dokumenten auf den Computern.
[...]
Nach den Unterlagen, die der SPIEGEL einsehen konnte, ist auch die EU-Vertretung bei den Vereinten Nationen auf die ähnliche Weise wie jene in Washington attackiert worden. In dem NSA-Dokument vom September 2010 werden die Europäer ausdrücklich als Angriffsziel benannt.
Quelle: NSA hat Wanzen in EU-Gebäuden installiert - SPIEGEL ONLINE

Dient die Überwachung von EU-Diplomaten & Politikern auch dem Kampf gegen den Terror? Die Unterlagen belegen das Deutschland und die EU als Partner "dritter Klasse" eingeordnet werden, was bedeutet man kooperiert mit dem betreffenden "Partner", doch dieser ist trotzdem ein legitimes Ziel für Spionageangriffe und Geheimdienstoperationen. Entsprechend groß ist die Entrüstung die deutsche und europäische Politiker plötzlich an den Tag legen. Mit der Überwachung der Bürger hatte man scheinbar kaum Probleme, aber wenn man selbst zu Ziel wird, wird auch die Rhetorik plötzlich schärfer:
"Wenn die Medienberichte zutreffen, erinnert das an das Vorgehen unter Feinden während des Kalten Krieges", sagte Leutheusser-Schnarrenberger. "Es sprengt jede Vorstellung, dass unsere Freunde in den USA die Europäer als Feinde ansehen."
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"Wir alle sind für sie Verdächtige", sagte Künast und forderte eine schnelle Reaktion von Kanzlerin Angela Merkel (CDU).
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"Die Politik muss Regeln schaffen, um grundlegende Freiheits- und Persönlichkeitsrechte zu sichern", sagte Gabriel. Weder Staaten noch Unternehmen hätten das Recht, den gläsernen Menschen zu produzieren.
[...]
Martin Schulz, Präsident des Europaparlaments, sprach von einer "großen Belastung" für die Beziehungen der EU und der USA und verlangte umfassende Aufklärung. "Wir brauchen noch genauere Informationen. Aber wenn das stimmt, ist es ein Riesenskandal."
[...]
Auch Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn kritisierte das Verhalten der Geheimdienste. "Wenn diese Berichte wahr sind, ist das abscheulich", sagte er. "Die USA sollten lieber ihre Geheimdienste überwachen statt ihre Verbündeten."
Quelle: Spionage: Kritik an der Überwachung: "Wie Feinde während des Kalten Krieges" | Digital | ZEIT ONLINE

Diese Spionageaktivitäten lassen sich schwerlich als Kampf gegen den Terror tarnen, trotzdem erscheint mir die Überraschung unserer Politiker über diese neuen "Enthüllungen" doch sehr aufgesetzt und wenig glaubwürdig zu sein. Das Spionage immer auch Wirtschaftsspionage ist, sollte eigentlich niemanden erstaunen, oder? Und das die USA da wenig zimperlich sind, sollte eigentlich - spätestens seit ECHELON - allseits bekannt sein. Das ECHELON-Programm wurde während des Kalten Krieges aufgebaut und diente der Aufdeckung von Aktivitäten kommunistischer Spione - wurde aber immer auch zur Wirtschaftsspionage benutzt. Erst letztes Jahr erschien eine Studie die den Schaden durch Wirtschaftsspionage für die deutsche Wirtschaft untersuchte. Die Süddeutsche hat die Studie schön zusammengefasst:
Die Ergebnisse: Längst wird bei der Wirtschaftsspionage nicht mehr nur China als Risikoland empfunden. Vor allem die ehemaligen GUS-Republiken sind aktiv, um wirtschaftliches Know-how zu beschaffen. Aber auch die USA sind mit Hilfe ihres Spionagenetzes Echelon weltweit immer gut im Bilde. Nicht nur was die Terrorabwehr betrifft, sondern gerade auch wenn es um Vorteile für die amerikanische Wirtschaft geht.
Quelle: Studie zur Wirtschaftsspionage - Wenn die Konkurrenz im eigenen Büro sitzt - Wirtschaft - Süddeutsche.de
Beteiligt an ECHELON sind neben den USA auch Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland. Zufälligerweise sind das auch die einzigen Staaten die von der USA als "enge Freunde" klassifiziert werden und somit nicht als Spionageziele betrachtet werden. Diese fünf Staaten haben sich im Rahmen des UKUSA-Agreement zu enger nachrichtendienstlicher Kooperation verpflichtet. Oft nennt man diese Geheimdienstallianz, die der Zusammenarbeit bei der weltweiten Kommunikationsüberwachung dient, einfach kurz Five Eyes. Diese Koopertion reicht bis in das Jahr 1946 zurück und ist somit alles andere als neu. Es ist auch nicht neu das die von den Five Eyes abgegriffenen Daten auch zur Wirtschaftsspionage genutzt werden und das Europa dabei durchaus ein Ziel ist. Schon vor 12 Jahren (ein gutes halbes Jahr vor 9/11 und dem Beginn des Kriegs gegen den Terror!) konnte man im Spiegel z. B. das hier lesen:
"Der Wirtschaftskrieg hat den Kalten Krieg abgelöst", sagt Gerhard Schmid, Berichterstatter im Echelon-Ausschuss des Europäischen Parlaments. Er ist sicher, dass EU-Unternehmen mit Spionagemitteln von den Amerikanern ausgeforscht werden.

Für den Ausschuss gilt es als erwiesen, dass die Vereinigten Staaten ein weltweites Spionagesystem unterhalten, das von den Regierungen in Australien, Neuseeland und England unterstützt wird.
[...]
Die britisch-amerikanische Kooperation bereitet einigen Parlamentariern besondere Sorgen. Sie fragen sich, ob die transatlantische Zusammenarbeit der Schlapphüte nicht die EU-Außen- und Sicherheitspolitik beschädigt, deren Einzelheiten aus London möglicherweise ungefiltert nach Washington weitergegeben werden.
[...]
Im Mai will der Echelon-Ausschuss des Europäischen Parlamentes Empfehlungen für die EU-weite Abwehr von Wirtschaftsspionage vorlegen und Gesetzesänderungen vorschlagen.
Quelle: US-Spionage: Lauschangriff auf die Konkurrenz in Europa - SPIEGEL ONLINE

Vor diesem Hintergrund darf eigentlich kein Politiker überrascht sein, oder? Von daher stellt das TdW diesmal die Frage: Sind die Politiker-Reaktionen auf die Enthüllungen über die Überwachungsprogramme nur geheuchelt?
 
Naja, ich möchte unseren Politikern nicht unterstellen, dass die Entrüstung
über das Ausmass geheuchelt ist. Gerade die "klassischen" Abhöraktionen
bei Gipfeltreffen und in EU-Behörden haben mich dann doch auch überrascht,
dem Internet habe ich noch nie vertraut. Jedoch sehe ich es durchaus positiv,dass wir
in diesem Zusammenhang als Partner dritter Klasse bezeichnet werden, da
scheint doch in Teilen Europas Privatsphäre und Datenschutz doch noch etwas Wert
zu sein.
Schön wäre es, wenn die User endlich kapieren würden, dass ihre Daten auf ausländischen
Servern nicht sicher sind, wenn schon die Verbindungen dorthin nicht sicher sind.
Man kann momentan eben höchstens im eigenen Land für Daten- und Verbindungssicherheit
sorgen und Einfluss nehmen. International sind wir in diesem Punkt von akzeptablen
Standards lichtjahreweit entfernt.

Gruss
 
Fakt ist das die USA sich selbst damit weiter geschadet hat. Der ganze Hick-Hack mit China im Vorfeld über angebliche Cyber-Angriffe auf die USA wird mit diesen Meldungen ad absurdum geführt.

Somit steht für mich fest, dass das Freihandelsabkommen mit Europa keinen Nährboden mehr hat. Die erhofften 2 Mio. Arbeitsplätze die Obama eingeplant hat werden wohl nicht realisierbar sein.

Ich bin auch davon überzeugt, dass einige Politiker zumindest im Ansatz von der ganzen Sache bescheid wussten. Denn wie ich das in den letzten Tagen so mitverfolgt habe, war die Empörung über das Ausmaß der Datensammlung von politischer Seite sehr bescheiden, womit ich zu dem Schluss auf Grund deren Reaktion komme, dass einige nicht sehr überrascht über diese Meldung zu sein schienen.

Jetzt leuchtet mir auch so langsam ein warum die USA die Kontrolle über das Internet so vehement verteidigt.

Der (aus meiner Sicht) wichtigere Punkt ist der, dass diese Datensammlung auf keinen Fall für die Bekämpfung des Terrorismus zu tun hat. Ich bin der festen Überzeugung das die USA sich in den letzten Jahren einen wirtschaftlichen Vorteil verschafft haben und weiterhin tun. Ob das jetzt unmoralisch ist oder nicht sei mal dahingestellt, die eigenen Geheimdienste hätten das unterbinden müssen.

Ich habe jetzt keine Quelle zur Hand aber so weit ich gelesen habe, wurde in der Nachkriegszeit ein Abkommen getroffen womit Deutschland verpflichtet wurde alle Informationen an den US-Geheimdienst weiter zu leiten.
 
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