[TdW 97] Die ICANN Reform: Chance oder Risiko?

Im Schatten der Krim-Krise weitgehend unbemerkt, deutet sich gerade eine großangelegte Reform der Internet Verwaltung an. Am Freitag kündigte Präsident Obama an, dass die USA ihre Aufsicht über die IANA aufgeben werden. Daher wurde die ICANN damit beauftragt einen Vorschlag für die künftige Verwaltung von IANA zu erarbeiten. Gerade nach den Snowden-Leaks klingt es ja eigentlich ersteinmal gut, wenn die USA - deren Nachrichtendienste in den Enthüllungen eine unrühmliche Hauptrolle spielen - ihre Kontrolle über die "Internet-Regierung" abgibt. Aber ist die Reform wirklich eine große Chance auf eine transparentere Verwaltung des Internets oder besteht ein Risiko das sich undurchsichtige Interessensgruppen jetzt "das Internet" unter den Nagel reißen?
Das TdW stellt daher die Frage: ICANN Reform - Chance oder Risiko?

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Zunächst mal: ICANN hat mit dem ganzen Zirkus um Snowden nichts zu tun. Erst einmal ist die Diskussion um eine stärkere Internationalisierung schon sehr viel älter als dieser NSA Dreck. Und weiter ist ICANN für einen solchen Gedanken auch die völlig falsche Adresse. ICANN betreibt keine Infrastruktur direkt. ICANN ist eine Organisation, die Richtlinien darüber erstellt, WIE die grundlegende Infrastruktur betrieben werden soll. Ganz konkret bringt es einem rein gar nichts, wenn man ICANN "kontrolliert". Jedenfalls nicht, wenn man irgend jemanden überwachen will. Da ist jede Regierung besser beraten, wenn sie ihre Leute zur BlackHat/etc. schickt.

Zur Sache.

Der Schritt von den Amis weg ist von Anfang an eine Option gewesen. Durch Snowden wurde es sicherlich etwas angeheizt und manche Amis mögen diese Möglichkeit durchaus für Schadensbegrenzung nutzen.

Die Chance die, daraus erwächst, ist die einmalige Möglichkeit, ICANN, oder die Netzverwaltung generell, in einen stärker engagierten privaten Sektor zu überführen. Bisher ist die ICANN dominiert von Technikern, Geschäftsinteressen und auch Politik. Faktisch hatte aber auch bisher jede Interessengruppe die Möglichkeit sich zu beteiligen.

Das Problem ist, wie immer: Zu wenige tun es.

Ich persönlich halte den Schritt - weg von den Amis - für eine riskante Sache und ich sehe bei Köpfen wie Frau Kroes erstmal ausgepraegten Machthunger und Selbstüberschätzung gepaart mit zu wenig Kompetenz in diesem Bereich - sie IST eine Politikerin. Sollte die ICANN aus der Obhut der Amis entlassen werden, so werden sich alle möglichen politischen Interessen wie die Aasgeier darauf stürzen und versuchen ihre Einflussnahme zu erhöhen. Bislang ist die Politik ein Teil von vielen im ICANN Universum und ICANN ist nicht verpflichtet dem Rat der Regierungen, die in dem sog. GAC organisiert sind, zu folgen - genau das könnte sich ändern.

Was daraus folgt ist eine Einmischung politischer INteressen in die Frage, wie das Netz am besten organisiert wird. ICANNs höchstes Interesse ist es den Wettbewerb zu fördern (genauer, den Namensraum zu erweitern -> neue TLDs) und die Infrastruktur zu schützen (wer hier glaubt, neue TLDs würden ein Problem werden, liest zu viele heise Kommentare).

Was die USA aber in ihrer partiellen Weisheit nicht zulassen werden, ist die Überführung von ICANN in eine wie auch immer geartete Regierungsorganisation. Wie wir alle wissen, liebaeugelt die UNO (ITU) schon seit langem mit dieser wichtigen Aufgabe und wir können sicher sein, dass sie alles mobilisiert um sich in einer neuen Organisation breit zu machen.

Wenn ich die Berichterstattung darum sehe, dann lese ich immer wieder Kommentare wie "die Amis". Und hier muss man echt mal auf den Tisch hauen, denn es gibt nicht _den_ Ami. In diesen Kreisen, rund im ICANN und IETF wird man den Großteil der Beteiligten als große Kritiker amerikanischer Aussenpolitik vorfinden. Da laufen keine Patrioten mit Kriegsanleihen rum. Das ist die Sorte Ami, die Freiheit und Gerechtigkeit noch sehr ernst nehmen und seit Jahren dafür kämpfen, dass das Netz sich weitestgehend selbst verwaltet.

Es ist, wie so oft, eine Chance. Und ich bin mir sicher, dass wir es richtig versauen. Jetzt schreien viele rum und klatschen Beifall. Aber wer ICANN kennt (ich kenne es besser als mir lieb ist) weiss, dass ICANN IMMER work-in-progress ist. Es ist nie irgendwas fertig und nie ist irgendwas abschliessend. Im Grunde ist das alles eine riesige, ewig diskutierende Masse, die ständig bemüht ist, aktuelle Interessen in ein Gleichgewicht zu bringen und wenn man dieses Gleichgewicht kurz erreicht hat (nach IETF Motto - rough Consensous), dann wird irgendeine Richtlinie verabschiedet, mit der alle "glücklich genug" sind.

Also frage ich mich - wer wird in Genf (oder sonstwo) diese Arbeit machen?
Mal abgesehen von den politischen Akteuren, die mit ihren Entermessern zwischen den Zähnen schon am Dollbord hängen?
 
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