Was die Parteien von den Piraten lernen können

Bei der kürzlichen Wahl in Berlin gab es eine echte Sensation: Nicht die Tatsache das rot-rot die rote Karte bekam, auch nicht das Wowi trotzdem weiter OB bleiben darf oder sich die Wähler rot-grün wünschen - die echte Sensation war das Ergebnis der Piraten.
In Berlin ziehen die Piraten erstmals in einen deutschen Landtag ein und das ganz souverän - gleich 15 Sitze haben die Polit-Neulinge gekapert. Und es ist ein Sieg mit Folgen, mehr und mehr Umfragen sehen die Piraten auch auf Bundesebene oberhalb der 5%-Hürde. Demenstprechend bemüht und beinahe scheinheilig wirkt auch die eine oder andere Gratulation von Vertretern der "etablierten" Parteien - die Grünen sehen ihr Image als Polit-Revoluzzer in Gefahr, die SPD stöhnt über weitere "linke" Konkurrenz und die Union fürchtet eine weitere Abwanderung der Wähler hin zu "linken Mehrheiten". Tatsächlich denke ich das Wahlergebnis und die Umfragewerte sind eine schallende Ohrfeige für die etablierten Parteien! Kritiker der Piraten werden nicht müde zu erwähnen das diese thematisch nur auf das Internet und Urheberrechtsfragen begrenzt sind und ansonsten eher chaotisch sind und kein umfassendes Parteiprogramm haben. Dennoch waren die Piraten die größten Gewinner der Berlin-Wahl und die einzige Partei die Nicht-Wähler mobilisieren konnte! Das führt imho zu einer ganz bedeutenden Frage: Warum?
Nachdem die FDP bei den letzten Wahlen hochkant aus fünf Landtagen geflogen ist, hatte der Frankfurter FDP-Chef Pfeil eine interessante Theorie zur Schwäche der FDP: Die breite Masse der Wähler ist einfach zu ungebildet um die FDP zu wählen. Ist das so? Mal abgesehen von der kuriosen Strategie der Wählerbeschimpfung, strafen die Analysen des Verhaltens der Berliner Wähler die Worte Pfeils Lügen: Gerade junge und gebildete Menschen haben sich ganz bewusst für die Piraten entschieden.
Warum ist das so? Ich denke die Antwort liegt weniger in konkreten Programmen, als im Gesamtkonzept der Piraten begründet: Die Piraten stehen für Transparenz, Liquid Democracy und Bürgerbeteiligung. Scheinbar kommt dies gerade bei jungen, gebildeten Menschen gut an. Für die etablierten Parteien sollte diese Ohrfeige eine Art Weckruf sein - solange sie diese Botschaft nicht verstehen, werden sie die Problematik der Politik-Verdrossenheit nicht in den Griff bekommen.
Oder wie seht ihr das?
 
Ja, ist doch ganz einfach:

Wir sind die Generation Internet (Netzwerk) und wir haben überall und immer unsere Nase mit drin und kaum etwas geschieht ohne dass wir es mitbekommen.
Im Bundestag ist es anders. Obwohl wir die Leute bestimmen, die dort sitzen sollen, bestimmen wir nicht was dort geschieht und leben so unseren Gewohnheiten entgegen (und viel zu oft auch entgegen unseres Willens).

Wenn nun jemand daher kommt und sagt: "Ihr wollt mitspielen? Okay!". Dann ist doch klar, dass sie damit offene Türen einrennen.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass die "etablierten" Parteien (gerade aus Sicht der Jugend und der jung gebliebenen) eine Flexibilität wie ein Amboss aufweisen, was sich darin äußert, dass sich der Bürger ausgenutzt, ausgenommen und vor allem übergangen fühlt. Alles was neu ist, wird abgelehnt oder anhand uralter Maßstäbe gemessen.
 
Ich denke die Antwort findet sich eher in Berlin ansich. "Junge und gebildete Menschen" findet man nunmal übermässig in der IT-Branche. Und Berlin entwickelt sich gerade zum IT-Mekka Europas. D.h. die IT-Branche ist hier sehr stark vertreten und macht mittlerweile einen nicht unerheblichen Teil der Arbeitsplätze in Berlin aus. Es ist also nicht verwunderlich, dass gerade in Berlin die Piraten eine recht grosse Wählerschaft haben, da hier prozentual sehr viele Leute aus der IT-Branche ansässig sind, die ein hohes Interesse am Netz haben und mit Werkzeugen wie Liquid Democracy umgehen können und wollen. Allerdings ist das auch der Grund, warum man aus dem Ergebnis der Landtagswahl in Berlin nicht unbedingt auf die ganze Bundesrepublik schliessen kann.
 
Wenn diese Werte stimmen würden, dann sollte man sich evtl. auch mal fragen, warum sie in andere Landesregierungen nicht eingezogen sind. Die Landtagswahl in Berlin war ja nunmal nicht die einzige in diesem Jahr. In Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg und Mecklenburg-Vorpommern erreichten sie nicht einmal 2%. Sollte sich das in einem halben Jahr so drastisch geändert haben? Ich halte jedenfalls die durchschnittlich 1000 Befragten bei Forsa- und Emnid-Umfragen nicht für sonderlich repräsentativ. Vergleichbare Befragungen haben auch Infratest dimap und die Forschungsgruppe Wahlen gemacht und die kommen nur auf 4%. Das zeigt wohl recht deutlich wie wenig repräsentativ diese Umfragen zur Sonntagsfrage sind.
 
ich denke, der Erfolg der Piraten hatte auch noch folgenden Grund:
nachdem die Piraten mit ihrem schmalen Budget wirklich taktisch clevere Orte für die Plakate gesucht haben (statt an jedem Laternenmast von Hauptstraßen, wo man nur dran vorbei fährt und den Inhalt gar nicht lesen kann, lieber irgendwo in der Nähe von Cafés etc., wo man ehr entspannt rumsitzt und auch mal die Zeit hat, den Inhalt des Plakats zu erfassen), konnten die Piraten erstmal ganz gut für öffentliche Wahrnehmung sorgen (zzgl. Straßenwahlkampf, etc.)

In Flächenländern fällt es per default schonmal wesentlich schwerer, öffentliche Aufmerksamkeit zu bekommen.

Jetzt der IMHO Knackpunkt:
Nachdem 2 Wochen vor der Wahl (oder so ähnlich) die Umfrage-Werte erstmals auf über 4% kletterten, entstand das Gefühl "das könnte tatsächlich was werden..."
und _DAS_ war meiner Ansicht nach der Motor für den Erfolg...

Dass es überhaupt erstmal zu dieser Prognose kam, hängt sicherlich mit dem überdurchschnittlich großen Anteil an jungen IT'lern und allgemein internet-/medien-affinen Menschen zusammen.

In den anderen Wahlen fehlte dieser Optimismus und viele Wähler wollten ihre Stimme nicht "verschwenden"...
Die fehlende Aussicht, dass der Einzug in ein Parlament wirklich möglich sein könnte, hält viele Leute davon ab, eine kleine Partei zu wählen und so geben sie ihre Stimme lieber dem aus ihrer Sicht kleinsten Übel von den Parteien, bei denen der Einzug wirklich wahrscheinlich ist...

Jetzt, nach der Berlin-Wahl, herrscht bundesweit ein gewisser Optimismus, auf dessen Welle die Piraten momentan segeln.

Jetzt hängt es wirklich an den 15 AGH-Piraten, politische Erfolge zu erzielen... Hier ist IMO die Presse wirklich noch immer _DER_ Stimmungsmacher. Ein größerer Patzer, den die Presse aufgreift und die Stimmung könnte sicherlich ganz schnell kippen...

Zur eigentlichen Frage, was die anderen Parteien lernen können:

  • Ehrlichkeit / Authentizität kommt beim Wähler wesentlich besser an, als irgendwelche Hochglanz-Plakate ohne Charakter
  • Der Wunsch nach Mitgestaltung ist groß, die starren Strukturen der etablierten Parteien machen diese Parteien unattraktiv (jede Partei hat ihre Jugend-Organisationen - auf diese wirklich hören und die Ideen dieser Jugend-Organisationen ernst nehmen, tun die wenigsten...)
  • Die Bürger werden oft zu spät und zu un-informiert in Entscheidungsprozesse einbezogen und fühlen sich bevormundet


Änderungen, die schon sichtbar sind:

  • schon in diesem Wahlkampf hat die CDU (!!!) (schließlich war auch denen klar, dass wenn überhaupt, dann Berlin DIE Wahl ist, in der die Piraten den nötigen Erfolg bekommen können) ihr Wahlprogramm soweit ich das gehört habe über's Netz mit der Basis zusammen erarbeitet und sie waren selbst überrascht, wie gut es funktioniert)
  • erste Bestrebungen, einiges an bisher analogem Papierkram in Zukunft im AGH digital zu gestalten, trifft auf Zustimmung - damit haben die Piraten soweit ich weiß zumindestens die LINKE als auch die GRÜNEN auf ihrer Seite
  • die Parteien reagieren anscheinend nach dem Motto "Wenn du deinen Feind nicht besiegen kannst, umarme ihn!" - ein wichtiger Punkt, um für neue Ideen überhaupt Gehör zu bekommen...
 
beavisbee hat gesagt.:
In den anderen Wahlen fehlte dieser Optimismus und viele Wähler wollten ihre Stimme nicht "verschwenden"...
Die fehlende Aussicht, dass der Einzug in ein Parlament wirklich möglich sein könnte, hält viele Leute davon ab, eine kleine Partei zu wählen und so geben sie ihre Stimme lieber dem aus ihrer Sicht kleinsten Übel von den Parteien, bei denen der Einzug wirklich wahrscheinlich ist...
Jetzt, nach der Berlin-Wahl, herrscht bundesweit ein gewisser Optimismus, auf dessen Welle die Piraten momentan segeln.
FullACK! Ich denke auch das sich der momentane Piraten-Boom auf Bundesebene so erklären lässt - ein gewisses Potential für die Piraten war immer vorhanden, der Erfolg in Berlin hat den Stein lediglich ins Rollen gebracht. Schade ist nur das derzeit keine Landtagswahl mehr ansteht...:rolleyes:

Und zu den Änderungen die schon sichtbar sind: Die SPD hat vor wenigen Tagen den Vorschlag zur Parteireform mit großer Mehrheit gebilligt - den Vorschlag von Gabriel, der mehr Mitbestimmung für die Parteibasis und sogar für Nicht-Parteimitglieder vorsieht und für den Gabriel ursprünglich ziemlich gescholten wurde.
Quelle: SPD-Vorstand billigt Vorschlag für Parteireform | tagesschau.de

Und nicht nur das - wie der Spiegel berichtet, plant die SPD einen Vorstoß um Bundestagsabgeordneten Nebeneinkünfte zu verbieten, gleichzeitig sollen Parteispenden von Firmen und Verbänden verboten werden. Wenn das umgesetzt würde, wäre es ein großer Schritt um die Politik aus dem Würgegriff der Wirtschaft zu befreien! Begründet werden beide Punkte mit dem Kampf gegen Politikverdrossenheit und der "Pflege der Demokratie".
Quelle: Internes Papier: SPD will Abgeordneten Nebentätigkeiten*verbieten - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik

Sollte die SPD, die große alte Dame der Politik, tatsächlich die Zeichen der Zeit endlich erkannt haben? Wenn ja war der Erfolg der Piraten in Berlin und die Welle der bundesweiten Zustimmung daran sicher nicht ganz unschuldig...;)
 
FullACK! Ich denke auch das sich der momentane Piraten-Boom auf Bundesebene so erklären lässt - ein gewisses Potential für die Piraten war immer vorhanden, der Erfolg in Berlin hat den Stein lediglich ins Rollen gebracht. Schade ist nur das derzeit keine Landtagswahl mehr ansteht...:rolleyes:
Nach Fukushima und dem Erfolg in Baden-Württemberg war man sich bei den Grünen auch sicher, dass man in Berlin den Bürgermeister stellen wird. Dies wurde auch durch Umfragen aus dieser Zeit bestätigt, nur als der Hype dann etwas nachgelassen hat.

Auch nicht unerwähnt sollte sein, dass viele die Piraten wegen ihres Names gewählt haben und wenn man die betreffenden Wähler nach dem Parteiprogramm fragt, können sie meist nicht sagen wofür die Piraten überhaupt stehen.
 
xrayn hat gesagt.:
Nach Fukushima und dem Erfolg in Baden-Württemberg war man sich bei den Grünen auch sicher, dass man in Berlin den Bürgermeister stellen wird. Dies wurde auch durch Umfragen aus dieser Zeit bestätigt, nur als der Hype dann etwas nachgelassen hat.
Und tatsächlich gehörten die Grünen zu den Gewinnern der Berlinwahl und werden aller Voraussicht nach mitregieren. Auch liegen zwischen denen von Dir angeführten Umfragen und der eigentlichen Wahl gut sechs Monate - und die Umfragen vor der Wahl dokumentierten nicht nur das Ende des Höhenflugs der Grünen, sondern auch den Aufstieg der Piraten, wie dieses Beispiel gut drei Wochen vor der Wahl zeigt: Umfrage zur Berlin-Wahl: Grüne brechen ein, Piraten können hoffen - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Politik

xrayn hat gesagt.:
Auch nicht unerwähnt sollte sein, dass viele die Piraten wegen ihres Names gewählt haben und wenn man die betreffenden Wähler nach dem Parteiprogramm fragt, können sie meist nicht sagen wofür die Piraten überhaupt stehen.
Die meisten können nicht sagen wofür die Piraten überhaupt stehen? Ist da der Wunsch Vater des Gedankens? Die Wähleranalysen in Berlin belegen da doch eher anderes:
Die Wähler der Piratenpartei, die in Berlin erstmals in ein Landesparlament einzieht, sind überwiegend jung und gebildet. Nach einer Wähleranalyse für das ZDF wurde die Partei vor allem von unter 30-Jährigen gewählt, relativ stark vertreten war auch die Altersspanne zwischen 30 und 44 Prozent. Besonders beliebt ist die Partei demnach bei jungen Männern. Der Bildungsstand der Piratenpartei-Wähler ist relativ hoch, überdurchschnittlich viele haben Abitur.
Quelle: Wähler der Piratenpartei überwiegend jung und gebildet | STERN.DE
Das klingt eigentlich nicht nach einer Wählerklientel die eine Partei wegen ihres Namen wählt, ohne zu wissen wofür die eigentlich steht, oder? Eigentlich klingt das nach der Wählerklientel die sich jede Partei wünscht.

Interessant ist auch bei den aktuellen Umfragen auf Bundesebene die Wählermigration - also die Frage von welchen Parteien die potentiellen Piratenwähler abgewandert sind:
Überraschend ist die parteipolitische Herkunft der Piraten-Anhänger. Nur elf Prozent derjenigen, die jetzt den Piraten ihre Stimme geben würden, haben bei der Bundestagswahl 2009 grün gewählt. Die meisten kommen aus dem Regierungslager: 16 Prozent hatten die Union gewählt, 13 Prozent die FDP. Unter den SPD-Wählern sind es zehn Prozent.
Und das ganz besondere Verdienst der Piraten ist natürlich dies:
30 Prozent waren Nichtwähler oder noch nicht wahlberechtigt. Derzeit würden vor allem Männer unter 45 Jahren für die Piratenpartei stimmen, darunter in erster Linie Schüler und Studenten sowie Arbeiter und Angestellte.
In Zeiten eskalierender Politikverdrossenheit und inflationärer Wahlbeteiligung schaffen die Piraten es afaik als einzige Partei Nicht-Wähler zu mobilisieren! Und da setzt ja auch die Frage dieses Threads an: Was können die etablierten Parteien von den Piraten lernen? Zu Herzen nehmen sollten sie sich vielleicht diese Aussage:
Immerhin 38 Prozent der Deutschen geben an, das politische Programm der Newcomer zu kennen. Sie nennen an erster Stelle die "Freiheit im Internet", gefolgt von "mehr Bürgerbeteiligung" und der Forderung nach mehr "Transparenz".
Das kommt scheinbar beim Bürger an und mit solchen Forderungen kann man scheinbar auch enttäuschte Nicht-Mehr-Wähler und skeptische Erstwähler mobilisieren.
Quelle: Forsa-Umfrage - FDP bei zwei Prozent, Piraten stark wie Linke - Politik - sueddeutsche.de
 
Ich selbst bin großer Sympathisant der Piraten und hoffe sehr, das der weitere Weg den Stand festigt und der Anschluss zu den großen Parteien in Zukunft gefunden werden kann. Potenzial ist auf jedenfall vorhanden.
 
Was man von den Piraten lernen kann? Nichts!

Dies hatten wir doch alles bei den Grünen.
Basisdemokratie und Beschränkung auf fast nur ein Themengebiet waren auch für deren
Anfangserfolge verantwortlich.
Ja es wurde viel in die richtige Richtung bewegt und es bleibt zu hoffen, dass dies auch
den Piraten gelingt. Doch letzendlich haben die Grünen die Politiklandschaft nicht
gross verändert, sondern sind vor den realpolitischen Sachzwängen in die Knie gegangen und
einzelne Führungspersönlichkeiten sind kaum noch von ihren Pondon's in den anderen
Parteien zu unterscheiden. Die Fundies haben den Machtkampf verloren, weil eine eigene Meinung
nicht Mehrheitsfähig ist. :P

Übrigens ist die SPD gerade dabei wieder mehr Basisdemokratie einzuführen.
Parteireform | Sozialdemokratische Partei Deutschlands (SPD)

Gruss
 
end4win hat gesagt.:
Was man von den Piraten lernen kann? Nichts!
Das sind aber harte Worte. Ich denke schon das die etablierten Parteien das eine oder andere von den Piraten, bzw. von deren momentanen Höhenflug, lernen können. So sind die Piraten z. B. gerade dabei ein völlig neues, geradezu revolutionäres Konzept in die Politik einzubringen: Ehrlichkeit!
Ich gebe zu die Vorstellung von Ehrlichkeit in der Politik ist irgendwie ungewohnt und fast ein wenig beängstigend, dennoch wäre es vielleicht mal einen Versuch wert...:)

Laut Meinung der SZ haben die Piraten jedenfalls die Ehrlichkeit als ihre größte Waffe entdeckt. Doch inwiefern sind die Piraten ehrlich? Hier mal ein paar Aussagen:
Nun geht es allerdings in der Realpolitik nicht immer um Grundrechtfragen. Sondern um Fragen wie: Rettungsschirm ja oder nein? Afghanistan-Einsatz ja oder nein? Konkrete Antworten darauf haben die Piraten nicht. "Aber muss eine Partei immer auf alles eine Antwort haben?", fragt Nerz. Sie seien eben noch eine junge Partei, der viele Antworten fehlten - "aber im Gegensatz zu den anderen stehen wir dazu".
[...]
Selbst bei typischen Piratenthemen kommt wenig konkretes, beim Datenschutz zum Beispiel. "Wir haben keine konkrete Lösung, weil es ein komplexes Thema ist", sagt Nerz.
Und auch den Punkt Transparenz möchte ich noch einmal unterstreichen, ich denke wirklich das mehr Transparenz & Bürgernähe ein wichtiger Beitrag gegen die Politikverdrossenheit sein könnte. Und transparent sind die Piraten:
Ihre Sitzungen protokollieren sie, die Niederschriften stellen sie ins Netz. Jeder kann sie kommentieren und Vorschläge unterbreiten, so dass mitunter ein ganz schönes Kuddelmuddel entsteht.
Und auch hier wieder die Ehrlichkeit:
"Das hindert uns manchmal daran, effizient zu sein", gibt Marina Weisband zu, "aber das ist uns die Transparenz wert." Im Moment versuchen sie, noch benutzerfreundlicher zu werden - "bei uns ist zwar alles online, aber man findet nichts", sagt Weisband und lächelt. Ehrlichkeit, das haben die Piraten gemerkt, ist ihre stärkste Waffe.
Quelle: Auftritt in der Bundespressekonferenz - Piraten erklären, was Piratenpolitik ist - Politik - sueddeutsche.de
 
So sind die Piraten z. B. gerade dabei ein völlig neues, geradezu revolutionäres Konzept in die Politik einzubringen: Ehrlichkeit!
Solange Mitglieder der Piraten die bereits oben erwähnten angeblichen 7%, die sie erreichen könnten, wenn eine Bundestagswahl jetzt stattfände, verbreiten und dabei verschweigen, dass gleichwertige Umfragen nur 4% ermittelten, kann ich von Ehrlichkeit nicht viel merken.

Auch bringt es recht wenig, wenn eine Partei Forderungen stellt, diese aber nicht mit passenden Konzepten untermauern kann. Die Piraten haben offensichtlich nicht einmal Konzepte für ihre Kernthemen. Damit ist sie für mich von der 1-Themen-Partei zur 0-Themen-Partei geworden. Sie hatten jetzt 5 Jahre Zeit entsprechende Konzepte für ihre Kernthematik zu erarbeiten und haben das offenbar bis heute nicht auf die Reihe bekommen. Nach 5 Jahren sollte man wohl etwas mehr erwarten können als "Wir haben keine konkrete Lösung, weil es ein komplexes Thema ist". Es gibt sowohl in Landes- als auch in Bundespolitik Themen, die einfach keine 5 Jahre Zeit ermöglichen, bis Entscheidungen fallen _müssen_.

Und wenn eine Partei in den aktuell wirklich wichtigen politischen Themen, wie z.B. dem Euro-Rettungsschirm, nicht einmal eine Meinung hat, dann sollte man sich in erster Linie fragen inwiefern sie dann im Bundestag etwas zu suchen hat. Wenigstens eine Meinung sollte man ja wohl erwarten können, sonst heisst es nämlich heute hüh und morgen hott und davon haben wir im Bundestag ja wohl schon genug.
 
bitmuncher hat gesagt.:
Solange Mitglieder der Piraten die bereits oben erwähnten angeblichen 7%, die sie erreichen könnten, wenn eine Bundestagswahl jetzt stattfände, verbreiten und dabei verschweigen, dass gleichwertige Umfragen nur 4% ermittelten, kann ich von Ehrlichkeit nicht viel merken.
Tun sie das denn? Ich habe gerade mal die Artikel zu der Piraten-Pressekonfernz in Spiegel Online und in der Süddeutschen überflogen - fand da jedoch keine Hinweise darauf das die Piraten mit dieser Zahl hausieren gehen. Auch ein kurzer Blick auf Piratenpartei Deutschland | Klarmachen zum Ändern! offenbarte keine offensive Verbreitung der Umfrageergebnisse...

Und was die gleichwertigen Umfrageergebnisse mit 4% angeht: Hast Du Beispiele? Ich hab noch einmal Blick auf Sonntagsfrage – Umfragen zur Bundestagswahl (Wahlumfrage, Wahlumfragen) geworfen, weil man da direkt die Ergebnisse von 6 verschiedenen Instituten auf einen Blick sehen kann. Hier fällt auf das wirklich zwei Institute, die Forschungsgruppe Wahlen und Infratest dimap, die Piraten mit 4 Prozent angeben - diese Umfragen sind jedoch auf Ende September (23. + 26) datiert, kurz nach dem Wahlerfolg in Berlin. Zwei weitere Institute, Allensbach und GMS, haben die Piraten in ihren Umfragen (die beide auf den 21.09. datiert sind) gar nicht berücksichtigt und können so keine Angaben machen.
Die beiden aktuellsten Umfragen, von Emnid (2.10) und Forsa, die beide Anfang Oktober gemacht wurden, sehen die Piraten bei 7 Prozent - wobei das Ergebnis von Forsa heute upgedated wurde und nun 8% zeigt. Hast Du eine Quelle zu einer aktuellen Umfrage die lediglich 4 Prozent für die Piraten angibt?
 
Ach komm Ehrlichkeit, was hilft den dies weiter.
Dies ist doch ein rein subjektiver Begriff. Es gibt in allen Parteien Politiker die ehrlich
überzeugt sind von dem was sie tun. Nur weil vieles dann in der Realität nicht umsetzbar ist,
heisst dies doch nicht, dass diese Politiker unehrlich waren.

Keine Meinung zu bestimmten Themen zu haben oder keine einheitliche Meinung funktioniert
prima solange man sich in der Opposition befindet und für die Beschlussfähigkeit des
Parlaments/Senats keine Rolle spielt. In der Regierungsverantwortung geht dies
eben nicht und dort müssen dann auch schon mal Entscheidungen mitgetragen werden
von denen man selbst nicht überzeugt ist, mit denen aber man noch Leben kann.
Diese Entwicklung haben eben die Grünen von der reinen Protestpartei zur regierungsfähigen
etablierten Partei durchgemacht und viele Ideale blieben auf der Strecke für den
ein oder anderen kleinen Fortschritt.

Dies ist auf der einen Seite der grösste Fehler in der Parteiendemokratie, auf der
anderen Seite wäre aber die Parteiendemokratie handlungsunfähig, wenn man sich
nicht auf dieses Verhalten einlassen würde. An dieser Stelle dann Unehrlichkeit
vorzuwerfen ist nicht Fair. Diese "Unehrlichkeit" ist systembedingt und wohl auch
jedem halbwegs informierten Wähler bewusst.

Wahlversprechen hingegen sind ein bisschen wie der Wunschzettel an den Weihnachtsmann.
Was davon nachher umsetzbar ist entscheidet sich erst nach der Wahl oder glaubst
du im ernst die Forderungen der Piraten würden sich momentan in irgendeiner Weise
1 zu 1 umsetzen lassen? Dagegen spricht momentan nicht nur nationales, sondern
auch europäisches und internationales Recht. Ich hoffe doch dies ist jedem bewusst,
der sie gewählt hat. Es ist die Richtung in die man sich eine Entwicklung wünscht
und nicht die konkreten Wahlaussagen, zumindest bei Parteien wie den Piraten,
die eher in der Opposition landen, wie in der Regierungsverantwortung.

Auch diese Basisdemokratie ist lang nicht so unproblematisch, wie sie immer dargestellt
wird. Wie gehe ich zum Beispiel mit einer 70% zu 30% Entscheidung der Basis um?
Lasse ich in diesem Verhältnis im Parlament abstimmen und riskiere das die 30% sich durchsetzen
oder stimme ich zu 100% für die 70% und ignoriere die Meinung der 30% meiner Wähler.
Von der Problematik der steigenden Gefahr der Einflussnahme der Massenmedien und
ihrer Finanzierer auf diese Entscheidungen mal ganz zu schweigen.

Ich halte mich selbst durchaus für politisch interessiert und habe auch zu vielen Themen
eine fundierte Meinung, die ich argumentativ vertreten kann, doch ehrlich gesagt würde ich
mich ausser Stande sehen mich ernsthaft mit der Vielzahl der zu treffenden Entscheidungen
in angemessener Weise auseinanderzusetzen, dafür fehlt mir einfach aus familiären und
beruflichen Gründen die Zeit und ich denke es geht vielen wie mir, die sich tagtäglich
mit jeder Menge Alltagskram konfrontiert sehen.

Gruss
 
Tun sie das denn? angibt?

Offenbar sind die Piraten etwas moderner in ihren medialen Mitteln als du. Schau dich mal bei Twitter & Co um, wo PiratenKoeln, Piratenkempen usw. sowie viele Parteimitglieder mit dieser Zahl hausieren gehen.

Und die Umfrageergebnisse mit den 7% waren auch bei Forsa ursprünglich in der Tabelle kurz nach der Berlin-Wahl datiert. Diesbezüglich jetzt auf 2-3 Tagen, rumzureiten nur um sich bestätigt zu sehen, ist irgendwie ziemlich lächerlich.

Ich gönne, den Piraten durchaus ihren Erfolg, sehe aber derzeit eine Tendenz bei ihnen, die dafür sorgt, dass sie steuerlos in die gleiche Richtung treiben wie andere Parteien auch. In anderen Threads hier regt man sich darüber auf, dass die Politiker keine Ahnung von dem haben, worüber sie abstimmen, aber bei den Piraten ist das ja alles nicht so schlimm. Es ist wird ihnen sogar "verziehen", dass sie selbst für ihr Hauptthema nach 5 Jahren noch immer keine Konzepte haben. Das erinnert mich sehr an Apple, die den iPhone-Jüngern veraltete Hardware verkaufen und dafür auch noch von diesen bejubelt werden. Die "Fans" der Piraten legen gegenüber dieser Partei eine Blindheit an den Tag, die schon fast an Gottgläubigkeit erinnert, während sie gleichzeitig die Fehler der Piraten bei anderen Parteien kritisieren.
 
bitmuncher hat gesagt.:
Diesbezüglich jetzt auf 2-3 Tagen, rumzureiten nur um sich bestätigt zu sehen, ist irgendwie ziemlich lächerlich.
Warum? Der Zeitfaktor spielt hier doch eine entscheidende Rolle! Die Meinungsforscher erklären die steigende Beliebtheit, der sich die Piraten derzeit erfreuen, mit dem Überraschungserfolg bei der Berlin-Wahl und der dadurch erhöhten medialen Aufmerksamkeit. Dieser Erklärung folgend steigt die Beliebheit der Piraten seit der Berlin-Wahl an. Und genau das scheinen die erwähnten Umfragen doch zu belegen: Die älteren Umfragen zeigen 4%, neuere 7% und die aktuellste 8%...;)

Edit
Ich habe gerade die Tagesthemen samt aktuellem ARD DeutschlandTrend gesehen, auch hier werden die Piraten mit 8% angegeben. Die Umfrage stammt übrigens von Infratest dimap, also dem Institut das die Piraten in ihrer veralteten Umfrage vom 26.09.2011 noch mit 4% beziffert hatte. In der Zeit zwischen den beiden Umfragen haben die Piraten ihr Ergebnis also verdoppelt - da kann man mal sehen was ein paar Tage in unserer schnelllebigen Gesellschaft ausmachen...:D

Allerdings gilt das natürlich für beide Richtungen und daher können sich Höhenflüge ebenso schnell in Sinkflüge verwandeln.

Quellen:
ARD-DeutschlandTrend: Piraten obenauf - FDP auf Rekordtief | tagesschau.de
Sonntagsfrage – Umfragen zur Bundestagswahl (Wahlumfrage, Wahlumfragen)
 
Zuletzt bearbeitet:
ich sehe die "Höhenflüge" auch ziemlich kritisch und als einen Faktor, der ihnen den Hals brechen kann...

Ich bin selbst eigentlich schon ziemlich großer Piraten-Sympathisant, aber bei den momentanen Höhenflügen wird auch mir bissl anders... wer hoch fliegt, kann eben tief fallen.

Auch die 15 Berliner AGH-Piraten versuchen schon den Bundesvorsitzenden Sebastian Nerz, welcher schon über Koalitions-Zusammensetzungen mit Piraten nachdenkt, ein wenig zu zügeln.

Ich finde, die Piraten sollen ruhig als Oppositionspartei ganz in Ruhe wachsen, Efahrungen sammeln und in ein paar Jahren kann ja vielleicht mehr draus werden, wenn Standpunkte gut fundiert erarbeitet sind.

Aber jetzt schon mit Regierungsbeteiligung und ähnlichem liebäugeln, kann ihnen meiner Meinung nach echt ganz schön auf die Füße fallen...
 
Der Zeitfaktor spielt hier doch eine entscheidende Rolle!

Jetzt, nachdem das Ergebnis auch durch die anderen bestätigt wird, kann man eine solche Aussage durchaus treffen.

Allerdings bleibt noch abzuwarten ob sich das bis zur nächsten Bundestagswahl auch halten wird. Solche Hypes vergehen erfahrungsgemäss ziemlich schnell und solange die Piraten sich nicht in den Medien halten, dürfte es für sie schwierig sein solche Werte zu halten. Auf Dauer dürfte das ohne richtige Konzepte nichts werden.
 
beavisbee hat gesagt.:
Ich finde, die Piraten sollen ruhig als Oppositionspartei ganz in Ruhe wachsen, Efahrungen sammeln und in ein paar Jahren kann ja vielleicht mehr draus werden, wenn Standpunkte gut fundiert erarbeitet sind.
FullACK!

Aber jetzt schon mit Regierungsbeteiligung und ähnlichem liebäugeln, kann ihnen meiner Meinung nach echt ganz schön auf die Füße fallen...
Auch dem kann ich nur zustimmen! Sie müssen ja auch gar nicht in der Regierung sein um etwas zu bewirken - ihre bloße Existenz reicht. Ein Beispiel dafür sind imho die Grünen, hier im Thread wurde zwar gesagt die Grünen hätten die politische Landschaft nicht groß verändert, aber das sehe ich anders: Die Grünen haben nicht nur aus einem drei Parteien-System ein Vier-Parteien-System gemacht, sie haben auch die FDP endgültig als drittstärkste Partei abgelöst. Man sollte nicht unterschätzen welche Auswirkungen das auf die politische Kultur und die Gesellschaft in Deutschland hatte und hat. Durch ihre blosse Existenz haben die Grünen auch die anderen Parteien verändert - manche mehr und manche weniger. Aber ohne die Grünen wäre das ökologische Bewusstsein ein gänzlich anderes, ohne die Grünen wären Dinge wie Recycling, Mülltrennung und Öko-Strom Fremdworte und der Ausstieg aus der Atomkraft wäre wohl undenkbar gewesen.
Von den Piraten erhoffe ich mir ähnliche Impulse auf anderen Gebieten, z. B. was Datenschutz, Bürgerrechte und Internet Governance betrifft. Dafür müssen sie wie gesagt nicht einmal in der Regierung sein - ihre blosse Existenz und ihr Potential auch Politik-Verdrossene Menschen an die Wahlurne zu bringen, wird die etablierten Parteien verändern. Und das passiert ja auch schon: Hier im Thread wurde ja z. B. schon mehrfach auf die Parteireform der SPD, die mehr "Basisdemokratie" und "Bürgerbeteiligung" bringen soll, hingewiesen. Ursprünglich wurde Gabriel für den Vorschlag der Reform heftig kritisiert, nach der Berlin-Wahl und dem Höhenflug wurde die Reform mit großer Mehrheit vom Parteivorstand abgenickt. Sogar Nebeneinkommen für Bundestagsabgeordnete und Parteispenden von Firmen & Lobby-Organisationen will die SPD angeblich plötzlich verbieten, ausdrücklich als Mittel gegen Politikverdrossenheit und zur "Pflege der Demokratie" und das direkt nachdem die Piraten mit Forderungen nach Transparenz und mehr Demokratie auch bei Nicht-Wählern punkten konnten - die etablierten Parteien beginnen bereits auf die Existenz der Piraten zu reagieren...:)

Edit:
bitmuncher hat gesagt.:
Allerdings bleibt noch abzuwarten ob sich das bis zur nächsten Bundestagswahl auch halten wird. Solche Hypes vergehen erfahrungsgemäss ziemlich schnell und solange die Piraten sich nicht in den Medien halten, dürfte es für sie schwierig sein solche Werte zu halten.
Das denke ich auch. Der Höhenflug entspringt nicht zuletzt der medialen Aufmerksamkeit und die wird nicht ewig andauern. Aber ich hoffe sie werden gestärkt aus dem Hype hervorgehen - vielleicht schaffen sie ja noch den Einzug in den einen oder anderen Landtag und vielleicht kratzen sie an der 5% Hürde. Im Moment halte ich es auf jeden Fall wahrscheinlicher das die Piraten die 5% Hürde im Bund schaffen, als die FDP...:)

bitmuncher hat gesagt.:
Jetzt, nachdem das Ergebnis auch durch die anderen bestätigt wird, kann man eine solche Aussage durchaus treffen.
Und noch ein Beweis für die Bedeutung des Zeitfaktors: Gestern noch lächerlich, heute eine berechtigte Aussage...:D
 
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