[TdW 52] Sind Großprojekte nur noch Milliardengräber?

Diese Woche beschäftigt sich das TdW mit einem Thema, dass gleich an mehren Orten in unserer schönen Republik durch bloße Erwähnung Schnappatmung auslösen kann: Spektakuläre Großprojekte, die zu wahren Milliardengräbern wurden. Beispiele dafür sind Stuttgart21, die Hamburger Elbphilharmonie oder eben der Flughafen Berlin Brandenburg.
Es gibt bei diesen spektakulären Debakeln Gemeinsamkeiten: In der Regel war die Politik von Anfang an stark involviert und stilisierte die Bauvorhaben zu richtungsweisenden Prestigeprojekten hoch und bei der praktischen Umsetzung kam es immer wieder zu unvorhergesehenen Schwierigkeiten und dadurch auch zu Verzögerungen und einer enormen Kostenexplosion.
Die Elbphilharmonie sollte ursprünglich 77 Millionen Euro kosten und 2010 fertig gestellt sein - mittlerweile geht man von 575 Millionen Euro aus und rechnet mit einer Fertigstellung im Oktober 2016. Bei Stuttgart 21 veranschlagte die Machbarkeitsstudie 1995 die Kosten etwa auf 4,807 Milliarden DM (etwa 2,45 Milliarden Euro), heute prognostiziert die Unternehmensberatung McKinsey Gesamtkosten von 6,8 Milliarden Euro. Der Flughafen Berlin Brandenburg sollte ursprünglich 2012 eröffnet werden und die Kosten solten 2,83 Milliarden Euro nicht übersteigen - mittlerweile rechnecht man mit 4,3 Milliarden Euro und einer Eröffnung nicht vor dem Jahr 2014...:rolleyes:

Ein gängiges Klischee über Deutsche, das meist direkt nach Pünktlichkeit & Ordnungsliebe genannt wird, besagt das Deutsche gute Organisatoren sind. Ich denke die oben genannten Beispiele (und zahlreiche kleinere wie der U-Bahn Bau in Köln oder der S-Bahn Tunnel in München), zeigen was von solchen Klischees zu halten ist. Daher möchte sich das TdW diesmal mit spektakulär verbockten Großprojekten befassen und die Frage stellen warum und wie sie spektakulär verbockt wurden? Oder vereinfacht gefragt: Sind Großprojekte nur noch Milliardengräber?
 
Solange an der Spitze die Politik steht - wohlmöglich ja.

Die Wirtschaft ist da deutlich effizienter. Wenn ein Großprojekt von Privatinvestoren finanziert wird schaffen diese es ihre Interessen um einiges wirkungsvoller zu vertreten.

Staats-/Steuergelder sind dagegen sone Sache da deren Umgang ein perfektes Beispiel für ein meist ins verderben laufendes principal agent problem darstellt :rolleyes:

Dazu kommt dass politik bekanntermaßen nicht gerade die effizienteste (im sinne von schnell und flexible) entscheidungsfindung darstellt.
 
Ich denke, 2 große Probleme sind, dass Politiker hier Aufgaben übernehmen, von denen sie keine Ahnung haben und dass bei den Ausschreibungen immer das billigste Angebot genommen wird.

Da die entsprechenden Firmen das wissen, fallen die Angebote zu den Hauptaufträgen entsprechend aus und entweder lässt die Ausschreibung selber bereits den Weg offen für Nachträge, es werden unerwartete Probleme hervorgebracht, die höhere Kosten nach sich ziehen oder bei Änderungen wird dann fleißig an der Kalkulation nachgebessert.
 
Bei Stuttgart 21 veranschlagte die Machbarkeitsstudie 1995 die Kosten etwa auf 4,807 Milliarden DM (etwa 2,45 Milliarden Euro), heute prognostiziert ...
Ich will da jetzt niemanden auf die Füße treten, nur wird die Studie vermutlich einen gezielt niedrigen Wert als Ergebnis gehabt haben. Schließlich wollten die Auftraggeber, Politiker, ja das Projekt umsetzen, und da ist es sicher nicht von Nachteil, wenn es eh nicht so viel kostet. Zumindest einmal rein theoretisch. Und wenn das Projekt dann läuft kann es ruhig teuerer werden, läuft ja schon. Weil abbrechen kann man dann meistens nicht mehr beziehungsweise wäre das teurer (bereits aufgezogene Gebäude wieder abreißen, ...) als es dann durchzuziehen.

mfg benediktibk

PS: Mit dem Durchziehen kennt man sich in der Branche ja bestens aus :D
 
Ein bischen geplänkel vorweg...

Ich denke, 2 große Probleme sind, dass Politiker hier Aufgaben übernehmen, von denen sie keine Ahnung haben und dass bei den Ausschreibungen immer das billigste Angebot genommen wird.

Das kann ich nicht bestätigen und ich habe schon des öfteren mit öffentlichen Ausschreibungen zu tun gehabt.

Und ich glaube auch nicht, dass solche Phänomene neu sind, denn derartige "Verzettelungen" sind absolut nichts Neues und insofern in jeder kleinen Gemeinde zu finden. Sprich: In jeder Gemeinde findet man Projekte, wo ein normal denkender Mensch die Hände überm Kopf zusammenschlägt. Stuttgart21 und Berlin sind keine Ausnahmen - sie sind aber Medientauglich.

Ich denke hier kommen noch zusätzlich weitere Faktoren hinzu:
Transparenz: die Bürger sehen und verfolgen Projekte, zudem ist die Berichterstattung durch die neuen Medien vielfaeltiger

Komplexitaet: Heutige Grossprojekte sind wesentlich komplexer in ihrem Wesen als sie es vor 50 Jahren waren. Alleine die Technologischen Anforderungen sind mehr oder weniger völlig neu hinzugekommen.


Die Wirtschaft ist da deutlich effizienter. Wenn ein Großprojekt von Privatinvestoren finanziert wird schaffen diese es ihre Interessen um einiges wirkungsvoller zu vertreten.

Das gilt aber nur für Entscheidungsfindungen und auch nur sehr beschränkt. In großen Konzernen und/oder AGs hat man eine ähnliche Trägheit wie zB. im Berliner Senat. Schnelle Entscheidungen sind auch hier nicht zu erwarten - und schon gar nicht, wenn es um "stoffliche" Projekte geht, wie Produktionsstätten.

Die Rahmenbedingungen sind zudem die gleichen: Es gibt geltendes Recht und Vorschriften, es gibt Verträge und Sanktionen. Es gibt Fehlentscheidungen und Fehlplanungen. Großprojekte in der Privatwirtschaft haben die gleichen Krankheiten wie andere Grossprojekte auch. Lediglich ist das Habitat des Auftraggebers, in diesem Falle ein Land, wesentlich Lebensfreundlicher als in der Privatwirtschaft.

Ein weiterer Unterschied: Die Privatwirtschaft ist in den seltensten Fällen irgendjemandem Rechenschaft schuldig: Niemand würde auf die Idee kommen, dem VW Konzern medial Druck zu machen, nur weil die mit der Fertigstellung einer Produktionsstätte nicht zu Gange kommen. Zum anderen bestünde für VW nicht die Notwendigkeit, ihre Produktionsstätte als Prestigeprojekt zu präsentieren. Und wenn sie es machen, dann lediglich dann, wenn eine Fertigstellung nahezu abgeschlossen ist.

Von diesen und weiteren Faktoren mal abgesehen, sind (besonders) Berlin und auch Stuttgart zum Teil auch politische Bühnen. In Berlin ist das zumindest mehr als deutlich.


Zum Thema:
Ein gängiges Klischee über Deutsche, das meist direkt nach Pünktlichkeit & Ordnungsliebe genannt wird, besagt das Deutsche gute Organisatoren sind. Ich denke die oben genannten Beispiele (und zahlreiche kleinere wie der U-Bahn Bau in Köln oder der S-Bahn Tunnel in München), zeigen was von solchen Klischees zu halten ist. Daher möchte sich das TdW diesmal mit spektakulär verbockten Großprojekten befassen und die Frage stellen warum und wie sie spektakulär verbockt wurden? Oder vereinfacht gefragt: Sind Großprojekte nur noch Milliardengräber?

Qualitaets-UN-Bewusstsein und unbedachte Hast sind ein Merkmal dieser Zeit und schlagen sich wohl in allen Bereichen nieder. Ausserdem hat sich in den letzten 30 Jahren ein hartnäckiges Kosten-Unbewusstsein etabliert und Politikern ist oftmals nicht klar, dass es sich um "unsere" Kohle handelt, die da verpulvert wird. So oder so. Grossprojekte sind insofern immer Milliardengräber als 1. falsche Leute in falschen Gremien sitzen und 2. die öffentlichkeit oftmals von falschen Zahlen ausgeht.
 
Ich denke, 2 große Probleme sind, dass Politiker hier Aufgaben übernehmen, von denen sie keine Ahnung haben und ...

Das denke ich nicht, denn die Aufgabe in solchen Projekten ist meist nicht die Planung, sondern die Überwachung und die Steuerung des Projektverlaufs. Dafür brauchst du oft nicht mal branchen-spezifisches Wissen. In einer Demokratie darf diese Aufgabe aber nur von gewählten und damit von demokratisch legitimierten Personen übernommen werden, gerade, wenn es um Steuergelder und Co. geht. Wenn sie das nicht beherrschen würden wären sie allgemein ungeeignet in der Bundes- und Landespolitik.

Soviel zur Theorie, in der Praxis haben wir aber das Problem, dass in vielen Projekten die Überwacher dieser Projekte in den Aufsichtsräten der Unternehmen sitzen, die überwacht werden sollen - oder die Politiker aufgrund ihres Aufgabenfeldes schlicht keine Zeit für die Überwachung haben und vielen einfach abzeichnen, in 99% der Fällen passt das schon. Was nun? Jede weitere Kostensteigerung wirkt sich zum einen positiv auf das Unternehmen aus, zum anderen aber negativ auf den Auftraggeber. Welche Konsequenzen muss man befürchten? Im schlimmsten Fall die Abwahl, meist aber nur ein böses Medienecho, das nach einigen Wochen wieder abebbt.

Meiner Meinung nach müsste in Großprojekten die Kontrolle nicht von einer Person übernommen werden, sondern von einem Rat bestehend aus Experten und gewählten Poltikern aller Parteien. Ebenfalls dürfen Aufsichtsratsposten in großen Unternehmen nicht nur von einem Politiker besetzt werden, sodass ein Interesseskonflikt umgangen werden kann. Gleichzeitig muss Transparenz durch Öffentlichkeit und Medienkontrolle aufgebaut werden. Da braucht es auch keine Volksabstimmungen (die hier völlig lächerlich sind, da die Abstimmenden nie ein Expertiselevel erreichen würden, das sie zur Abstimmung überhaupt befähigen würde!).
 
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Meiner Meinung nach müsste in Großprojekten die Kontrolle nicht von einer Person übernommen werden, sondern von einem Rat bestehend aus Experten und gewählten Poltikern aller Parteien. Ebenfalls dürfen Aufsichtsratsposten in großen Unternehmen nicht nur von einem Politiker besetzt werden, sodass ein Interesseskonflikt umgangen werden kann. Gleichzeitig muss Transparenz durch Öffentlichkeit und Medienkontrolle aufgebaut werden. Da braucht es auch keine Volksabstimmungen (die hier völlig lächerlich sind, da die Abstimmenden nie ein Expertiselevel erreichen würden, das sie zur Abstimmung überhaupt befähigen würde!).

Hier stimme ich dir auch zu und in gewisser Weise bestätigst du sogar meine Behauptung.
Der Aufsichtsrat überwacht doch letztendlich alles, somit ist es ja nicht nur eine Person die beaufsichtigt. Du schreibst nun, dass nicht nur Politker in diesem Rat sitzen dürfen sondern auch Experten.

Sehen wir uns doch mal an, was Wikipedia Stand Heute zum Aufsichtsrat BER schreibt:
Im Aufsichtsrat der FBB sitzen u. a. als Vertreter Berlins der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (am 7.1.2013 als Aufsichtsratsvorsitzender zurückgetreten[5]) und Innensenator Frank Henkel, als Vertreter Brandenburgs der Ministerpräsident Matthias Platzeck und der Vorstandsvorsitzende der Deutschen Kreditbank Günther Troppmann sowie als Vertreter der Bundesregierung die Staatssekretäre Rainer Bomba und Werner Gatzer.
Genau diese Experten, die letztendlich das Wissen bringen, fehlen mir hier. Außerdem behaupte ich, dass es sicher ein großer Unterschied ist, politische Aufgaben zu machen oder ein technisch anspruchsvolles Projekt managen zu können, und ich denke, dass man dieses können muss, auch wenn man "nur" überwacht.
Wenn man hingegen die Leute, die Sachverstand haben und einen vor Terminproblemen oder einer Kostenexplosion warnen, einfach mal zum Schweigen bringt, dann ist man in der Geschäftsführung/im Aufsichtsrat einfach falsch.

Interessant fand ich dazu z.B. diesen Artikel:
Bauen in Deutschland: Ins Blaue - Kultur - Tagesspiegel
 
Genau diese Experten, die letztendlich das Wissen bringen, fehlen mir hier. Außerdem behaupte ich, dass es sicher ein großer Unterschied ist, politische Aufgaben zu machen oder ein technisch anspruchsvolles Projekt managen zu können, und ich denke, dass man dieses können muss, auch wenn man "nur" überwacht.

Wichtig sind meiner Meinung nach nicht die Experten. Jedes Aufsichtsratmitglied hat seine Experten, die ihn/sie beraten und ihm genau das von dir genannte technische Wissen abnehmen. Die (politische) Verantwortung für ein Problem kann dieser Experte aber nur in ganz wenigen Fällen übernehmen, gleichzeitig sind Experten nicht immer demokratisch legitimiert. Somit dürfen in den meisten Projekten die Aufsichtsratposten nur mit Politikern besetzt werden.
Viel wichtiger ist aber eine breite Besetzung durch Politiker *aller Parteien* aus Land- und Bundestagen und eine öffentliche Diskussion innerhalb der Parteien. Nur dadurch erhält man meiner Meinung nach die Transparenz (denn alles schlechte könnte der eigenen Partei/Koalition schaden), die bei solchen Projekten herrschen sollte.

Wenn man hingegen die Leute, die Sachverstand haben und einen vor Terminproblemen oder einer Kostenexplosion warnen, einfach mal zum Schweigen bringt, dann ist man in der Geschäftsführung/im Aufsichtsrat einfach falsch.
Terminprobleme und Kostenexplosionen sind oft nur subjektive Einschätzung. Es "könnte" kommen, muss aber nicht. Genau das muss aber an die Öffentlichkeit weitergegeben und frühzeitig diskutiert werden. Nicht ein Politiker ist nun verantwortlich, sondern die ganze Öffentlichkeit, alle beteiligten Parteien. Dann würde der Flughafen zwar nicht wegen Problemen erst 2020 eröffnet werden, sondern wegen der Diskussion daran. Aber dann hätten wir zumindest ein sauberes Verfahren.
 
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