Seit wann hat die Presse eine Verpflichtung zur Neutralität?
Es gibt einen sog. "Pressekodex". Hier wird der Presse eine Sorgfaltspflicht aufgelegt und ebenso das Gebot der Wahrhaftigkeit. In politischer Hinsicht kann das nur mit einer gewissen Distanz und Neutralität geschehen. Klar - ein Gesetz ist das nicht, eher eine Art Ethik.
Boulevardpresse wurde und wird z.B. vorgeworfen vorschnell zu urteilen.
Auch das Abwägen der Brisanz einer "Neuigkeit" gegen die Notwendigkeit erst einmal nachzuprüfen, fällt viel zu oft zugunsten der "Schlagzeile" aus.
Auch gibt es eine Fülle von Fällen wo Menschen reell zu Schaden gekommen sind (bis hin zu Selbstmord von "Betroffenen"), durch die vorschnelle "Berichterstattung".
Wir haben in erheblichen Teilen der Informationsstruktur den "Entertainment" Faktor. Zusätzlich haben die Medien heute eine erhebliche Macht durch das, was man "Deutungshoheit" nennt. In der Praxis drückt sich das so aus, dass etwa ein Günter Jauch( oder Mario Barth) weitaus mehr meinungsbildende "Macht" besitzt, als ein Ballsaal voller Fakten. Ophra Winfrey z.B. konnte ohne Weiteres an einem Abend die politische Karriere eines Menschen beflügeln oder zerstören (die hat in jeder Sendung über 20 Millionen Zuschauer gezogen).
In einem System, wo man es gewohnt ist, gesagt zu bekommen wo es langgeht, ist das wohl auch "OK". In einem "freien" Land jedoch, ist die "demokratische Biosphäre" auf eine (eher) neutrale Presse angewiesen.
Ich teile bitmunchers Ansichten an vielen Stellen nicht. Aber in Bezug auf IS(IS) ist es _objektiv_ so, dass die großen Medien hier einer Argumentation der Politik folgen und man die wirklich interessanten Hintergrundinfos dazu nicht dort bekommt, wo man es erwarten _dürfte_. Mittlerweile ist es ja sogar so, dass die beste Berichterstattung von den Kabarettisten geliefert wird. So ist z.B. Pispers Show zu 9/11 um Längen Substantieller als jeder Politikunterricht an deutschen Gymnasien. Und auch die Kabarettisten sind recht aktuell.
Ich selber denke dass wir sehr viel mehr seriöse und engagierte Journalisten haben, als es momentan den Eindruck macht. Überlagert wird diese Tatsache allerdings von der wirtschaftlichen Realität und dem Wettbewerb, der letztendlich dem Konsumverhalten folgen muss - auch wenn er ihn selbst geprägt hat.
Wir müssen uns mal langsam an die eigene Nase fassen und uns eingestehen, dass unsere Informationsgesellschaft eben auch NUR das ist: Informationsgesellschaft. Das Leben in einer Informationsgesellschaft bedeutet aber nicht automatisch, dass wir auch verstehen, was da an jeder Ecke an Information emittiert wird. Mit verstehen meine ich auch nicht das "behalten" der vorgesetzten Information. Sondern mit verstehen meine ich die "Synthese" dessen was man an Informationen aufnimmt, mit dem, was man sich notwendigerweise darüber hinaus an Wissen aneignen muss, will man da zu Erkenntnissen kommen. Zudem wird selbstverständlich gelogen und getäuscht oder durch Blogs/Twitter (ohne schlechte Absicht), verzerrt - und Medienkompetenz muss an der Stelle eigentlich die Fähigkeit sein mal einen Schritt beiseite zu treten, sich einzugestehen dass man eben nicht den Überblick hat und sich (dem "Gehürn") auch mal Raum lässt diese Synthesearbeit leisten zu können.
Zum Schluss bin ich auch überzeugt, dass unser Presseverständnis der Realität hinterherhinkt. Die Mainstream-Medien müssen auch auf Unterhaltung setzen und es ist schlichtweg keinem (Zeitungs)Artikelleser zuzumuten einen Artikel mit 10.000 Wörtern zu lesen. Es bleibt dabei: Der Systembedingte Trend in den Massenmedien wandert seit Jahren Richtung Reduzierung des zu konsumierenden, in mundgerechte Happen. (Es gibt Fälle, wo sich eine Redaktion bewusst für "Vereinfachung" entscheidet um dem Verlust von Lesern entgegenzuwirken).
Wir sind, "dank" der Informationsgesellschaft zwar ständig auf dem Laufenden, DAS irgendwas irgendwo passiert. Wir werden aber weniger darüber informiert WAS eigentlich passiert. Das Anspruch an UNS wächst in der Informationsgesellschaft - sie bürdet uns Arbeit auf und nimmt uns keineswegs etwas ab.
Und was soll daran auch so schwer zu kapieren sein? Man lernt die Theorie einer komplexen Krypto auch nicht aus nem Blog, oder nem 3000-Worte Artikel. Man muss viel Zeit investieren und Bücher lesen um auch wirklich zu _verstehen_ das da passiert und warum man das so macht. Dem gegenüber ist der (vorhandene) Konflikt mit dem Islam oder auch Russland/Ukraine sogar noch millionenfach komplexer. Trotzdem haben wir eine feste Meinung dazu. Die Meinung beruht aber nicht Ansatzweise auf Kenntnis einer Sache, sondern viel zu oft auf der nüchternen Ergebenheit gegenüber den Informationskanälen, die uns zudröhnen. Und niemand kann sich völlig davon frei sprechen und letzten Endes sind wir ja auch alle Kinder unserer Zeit und aus eben dieser Zeit heraus interpretieren wir das alles.