[TdW 20] Darf die Redefreiheit im Bundestag eingeschränkt werden?

Das neue Thema der Woche beschäftigt sich mit einer ganz aktuellen und, wie ich finde, überaus brisanten Abstimmung im Bundestag - unter dem vielsagenden Titel Fraktionen planen Maulkorb für Abgeordnete berichtet unter anderem die Süddeutsche über das Thema. Wenn man jetzt nur den Titel liest, könnte man denken Klasse, endlich tut mal jemand was gegen Politiker die nur Müll verzapfen - doch tatsächlich handelt es sich um den Versuch Abgeordnete, deren Meinung von der offiziellen Parteilinie abweicht, mundtot zu machen:
Mit den neuen Regeln soll der Parlamentspräsident verpflichtet werden, das Wort nur mehr den von der Fraktion eingeteilten Rednern zu erteilen. Andere Abgeordnete darf er nur ganz ausnahmsweise und nur noch drei Minuten lang reden lassen - auch dies nur "im Benehmen mit den Fraktionen".
Sollten die Bundestagsabgeordneten am 26. April der neuen Geschäftsordnung in dieser Form zustimmen, würden sie nicht nur ihre eigenen Rechte freiwillig beschneiden - sie würden imho eine tragende Säule einer lebendigen Demokratie einreißen. An dieser Stelle sei daran erinnert, dass sich der Begriff Parlament von parlieren, also reden, ableitet - ein Parlament das selbst seine Redefreiheit einschränkt, degradiert sich also im Grunde selbst zu einer Farce...:rolleyes:
Gestützt wird der Antrag übrigens mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD und der FDP - lediglich die Grünen und die Linken haben im Geschäftsordnungsausschuss dagegen gestimmt. Daher, bevor die Abgeordneten am 26. April möglicherweise ihr eigenes Grab ausheben, die Frage: Darf die Redefreiheit im Bundestag eingeschränkt werden?
 
Oh welch Wunder.. Nachdem jede Meinung, die nicht der der Fraktion entspricht, zur Zerfallsprobe der Partei stilisiert wird, beschließen die Fraktionen, dass solche Miniminderheiten nicht mehr die breite Aufmerksamkeit bekommen sollen. Wo hier jetzt der Druck auf einzelne Abgeordnete weiter gesteigert werden soll, sehe ich jedoch nicht. Schließlich werden diese schon heute sowohl von Presse, als auch von eigenen Leuten als Spaßbremser der Nation dargestellt und als "Abweichler" bezeichnet. Allein mit dem Wort "Abweichler" Parlamentarier zu bezeichnen, sollte mit Arschtritten bestraft werden. Ein solch negatives Wort sollte nicht im Zusammenhang mit einer eigenen, freien Meinung erwähnt werden. Auf der anderen Seite, wie hoch ist wohl die Wahrscheinlichkeit, dass auf einmal alle ihre Meinung ändern, weil ein Herr Bosbach nochmal 5 Minuten erklären darf, warum er keine Lust auf den ESM hat?

Trotzdem ist das natürlich Quark, was da verzapft wird. Aber eine gute Gelegenheit für unseren neuen Bundespräsidenten den Abgeordneten sein Kernthema nochmal vor Augen zu halten.
 
So ganz neu ist das Ganze nicht, lediglich eine weitere Steigerung in der "Freiheit" der Meinungsäußerung unserer Abgeordneten.

Unter "Das bestrafte Gewissen"
Fraktionszwang und Abweichler - Das bestrafte Gewissen - Politik - sueddeutsche.de
veröffentlicht am 17.03.2008, beschreibt die damalige FDP-Abgeordnete Hildegard Hamm-Brücher, wie es ihr erging, als sie sich - entgegen dem Franktionszwang - im Jahr 1982 nicht am Misstrauensvotum gegen Helmut Schmidt zugunsten von Helmut Kohl beteiligen wollte (Zitat):

"Auf Dissidenten wurde Druck ausgeübt. ... Die Folgen meiner eigentlich plausiblen, zumindest ernstzunehmenden Begründung habe ich bis zum freiwilligen Ende meiner politischen Karriere zu spüren bekommen. Bis 1990. Vier Jahre davon verlebte ich in einer Art "liberalem Strafvollzug". Ich erhielt keinen Ausschuss-Sitz, keine Redezeit, keine Beteiligung an sonstigen parlamentarischen Aufgaben, jede Menge Nadelstiche im innerfraktionellen Umgang."
 
Wenn der Bundestag das beschließt.
Nicht alles was der Bundestag von sich gibt ist gleich dauerhaft rechtens. In diesem Falle hätte das BVG sicherlich etwas zu beanstanden, da das Grundgesetz ja zusichert, dass Abgeordnete ihrem Gewissen verpflichtet sind und nicht der Fraktion. Und bisher hat das BVG auch immer recht gut bewiesen, dass es unabhängig ist.
 
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