end4win hat gesagt.:
Nun zu den Gründen warum ich der Staatsanwältin durchaus glaube das sie diese
besagten 6 Monate angeboten hat. Ganz einfach weil sonst das Dementi der
Anwälte von Swartz bereits überall im Netz aufgetaucht wäre und weil niemand
so bescheuert sein kann sich mit einer solch dreisten Lüge aus der Affäre ziehen
zu wollen (Politiker vielleicht doch).
Nun, nach dem TAZ Artikel hat sie das dem Richter empfehlen
wollen - es war zum Zeitpunkt des Selbstmordes also bestenfalls ein guter Vorsatz, den wir einfach mal glauben müssen. Scheinbar war das Angebot von 6 Monate Haft auch Teil eines Deals, den die Staatsanwaltschaft angeboten hat, eines Deals der für Aaron Swartz offenkundig nicht akzeptabel war - sonst wäre der Deal ja wohl nicht geplatzt.
Im übrigen war Lawrence Lessig, auf dessen Blogeintrag "Die Staatsanwaltschaft als Tyrann" ich oben verlinkt habe, einer der Anwälte von Aaron Swartz - das er die Rolle der Staatsanwaltschaft ziemlich kritisch sieht, wird in seinem Blog klar.
Das es eine deutliche Diskrepanz zwischen den jüngsten Äußerungen der Staatsanwältin, man habe selbstverständlich berücksichtigt das Swartz sich nicht habe bereichern wollen, und früheren Äußerungen und der Klageschrift gibt, hat CDW eigentlich schon deutlich gemacht. Aber zur Erinnerung hier noch einmal entsprechende Zitate:
A federal indictment unsealed today, charges a Cambridge man with computer intrusion, fraud, and data theft in computer hacking incidents that targeted the Massachusetts Institute of Technology and JSTOR, a not-for-profit archive of scientific journals and academic work. AARON SWARTZ, 24, was charged in an indictment with wire fraud, computer fraud, unlawfully obtaining information from a protected computer, and recklessly damaging a protected computer. If convicted on these charges, SWARTZ faces up to 35 years in prison, to be followed by three years of supervised release, restitution, forfeiture and a fine of up to $1 million.
Und das hat die Staatsanwältin Carmen M Ortiz damals persönlich gesagt:
“Stealing is stealing whether you use a computer command or a crowbar, and whether you take documents, data or dollars. It is equally harmful to the victim whether you sell what you have stolen or give it away.”
Quelle:
USDOJ: US Attorney's Office - District of Massachusetts
Das sind nicht die Medien oder Anonymous, die hier von 35 Jahren Haft reden...
Und
Stehlen ist stehlen, hm? Wenn man sich dieses Zitat anschaut, wird schon eher klar, was die Hinterbliebenen von Swartz in ihrer offiziellen Stellungnahme zu dieser Aussage brachte:
Aaron’s death is not simply a personal tragedy. It is the product of a criminal justice system rife with intimidation and prosecutorial overreach. Decisions made by officials in the Massachusetts U.S. Attorney’s office and at MIT contributed to his death. The US Attorney’s office pursued an exceptionally harsh array of charges, carrying potentially over 30 years in prison, to punish an alleged crime that had no victims.
Quelle:
Official Statement from the family and partner of Aaron Swartz - Remember Aaron Swartz
Wie man gerade auf Telepolis erfahren kann, sollte Swartz ursprünglich nur verwarnt werden - bis Carmen Ortiz den Fall übernommen hat:
Dem bekannten Rechtsanwalt Harvey Silverglate zufolge sollte der am 11. Januar durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Internetaktivist Aaron Swartz nach dem Willen der örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden für den rechtlich umstrittenen massenhaften Download von Artikeln aus der JSTOR-Datenbank lediglich verwarnt werden. Erst als die Bundesstaatsanwältin Carmen Ortiz den Fall übernahm, drohte sie mit einer langjährigen unbedingten Gefängnisstrafe. Diese Drohung war nach Ansicht von Aarons Vater Robert Swartz ursächlich für den Tod seines Sohnes verantwortlich.
Quelle:
Carmen Ortiz unter Druck | Telepolis
Der Strafrechtler Orin Kerr kommt in einer Analyse zwar zu dem Schluss das sechs Monate Haft eine angemessene Strafe gewesen wären, aber auch das die Staatsanwaltschaft zuvor versucht habe Swartz einzuschüchtern:
Im zweiten Teil seiner Analyse kommt Kerr allerdings zu dem Schluss, dass die Drohungen gegenüber Swartz unverhältnismäßig waren und Swartz vor Beginn des Prozesses einschüchtern sollten.
Quelle:
US-Juristen debattieren "Aaron's Law" | heise online
Aber nicht nur Netzaktivisten, Freunde und Familie sehen eine Mitschuld der Justiz bei dieser Tragödie - selbst Kongressabgeordnete scheinen das so zu sehen:
Zoe Lofgren, Kongressabgeordnete aus dem Silicon Valley, hält die Anti-Hacker-Gesetze in den USA, mit denen die Staatsanwaltschaft gegen den Internetaktivisten Aaron Swartz vorging, für zu weitreichend. Die Strafverfolger hätten die eher vagen Formulierungen der Gesetze genutzt, um eine Verletzung der Nutzungsbedingungen als Verstoß gegen den Computer Fraud and Abuse Act (CFAA) auszulegen. Diese Auslegung des Gesetzes sei geeignet, um viele Internetnutzer zu kriminalisieren und haarsträubend schwere Strafen zu verhängen,
erklärte Lofgren auf der von Swartz mitgegründeten Website Reddit.
Quelle:
Aaron Swartz: US-Kongressabgeordnete fordert "Aaron's Law" - Golem.de
Ich bin sicher das die Staatsanwältin weder Swartz Tod wollte, noch vorhergesehen hat - ich bin mir aber auch sicher, dass sie jetzt versucht den Druck, den sie aufgebaut hat, zu verharmlosen.
Man kann die Sache jedenfalls sehen wie man will - eine bloße Erfindung der Medien oder von Anonymous sind die Vorwürfe definitiv nicht.
Aber wenn ich mir die Diskussion ansehe, die der Selbstmord ausgelöst hat, die Debatte über zu weitreichende Gesetze und zu harte Strafen und die #pdftribute-Bewegung, dann glaube ich fast das selbst aus einer Tragödie etwas gutes entstehen kann...