[TdW 54] Anonymous vs. US-Justiz - nur heiße Luft?

Nachdem es um die Webguerillas von Anonymous jüngst etwas ruhiger geworden war, melden sie sich nun eindrucksvoll zurück und legen sich einmal mehr mit den USA an: Anonymous droht mit der Veröffentlichung vertraulicher Akten des Justizministeriums. Die Aktion ist die Reaktion von Anonymous auf den Freitod von Aaron Swartz. Swartz hatte sich über einen Rechner beim MIT zahlreiche Kopien von literarischen und wissenschaftlichen Publikationen von JSTOR gezogen, obwohl er sich mit JSTOR als geschädigter Partei gütlich einigen konnte, drohten ihm bis zu 35 Jahre Gefängnis - es war vermutlich diese Aussicht, die Swartz in den Selbstmord trieb.
Anonymous sieht dadurch eine "rote Linie" überschritten und droht dem US-Justizminiserium mit der Veröffentlichung vertraulicher Akten, die Aktion richtet sich dabei, laut Anonymous, vor allem gegen unverhältnismäßig harte Strafen für Hacker.
Daher stellt das TdW diesmal die Frage, ob die Kritik berechtigt ist und ob so eine Aktion irgendetwas bewirken kann? Oder ist das ganze nur heiße Luft oder sogar kontraproduktiv?

Quellen:
Bericht: Anonymous droht US-Regierung | heise online
Internet-Aktivist Aaron Swartz ist tot | heise online
#pdftribute: Wissenschaftler gedenken Aaron Swartz | heise online
 
Zuletzt bearbeitet:
Da hier immerhin von 35 Jahren Haft die Rede ist, obwohl kein Mensch nachweislich durch Aaron Swartz Taten verletzt wurde, denke ich schon, dass die Strafe übertrieben ist. Die Dauer der Haft lässt sich vermutlich eher dadurch erklären, dass sie ihn wegsperren wollten, weil ihnen seine Ansichten nicht gepasst haben. Da er jetzt aber den Freitod gewählt hat, sind sie ihn zwar losgeworden, gleichzeitig istt aber auch die #pdftribute-Bewegung aufgekommen. Die wiederum bestimmt auch ein Stück mehr Aufmerksamkeit erhielt, weil Anonymous sich der Geschehnisse gewidmet hat. Daher halte ich das Ganze nicht für kontraproduktiv, sondern eher für sinnvoll, zeitgemäß und längst überfällig.

mfg soul
 
Der Zweck heiligt nicht die Mittel.
Wenn man sich die Liste der Vorwürfe, von Einbruch über Diebstahl bis eben
zum Eindringen in zugangsgeschützte Systeme und kommerzielle Veröffentlichung von
urheberrechtlich geschütztem Material, ansieht, dann kommt man eben in der Addition
auf eine mögliche Höchststrafe in solchen Bereichen. Dies hat erst mal nichts
mit extra harten Strafen für Hacker zu tun. Was dann am Ende so nachgewiesen werden
kann und wie hoch der Richter dann die einzelnen Punkte strafrechtlich beurteilt
ist dann Sache eines oder mehrere Gerichtsverfahren.
Für eine einfache Fahrerflucht und ist es nur der Kratzer beim Ausparken steht
eben erstmal eine Freiheitsstrafe von 3 Jahren im Gesetz, auch wenn ich einen Zettel
mit meine Daten hinterlasse.

Dies sollte sich jeder Aktivist vor einer Tat klar machen.
Man kann nicht mit illegalen Mitteln gegen tatsächliche oder empfundene Missstände kämpfen
und hinterher sich über Strafandrohungen beschweren.

So sehr ich seinen Tod bedaure und auch Verständnis für seine Ziele habe,
kann ich Selbstmord als Mittel sich aus der Verantwortung zu ziehen oder
gar als Kampfmittel nicht akzeptieren.

Ansonsten haben "rote Linien" die Anonymous zieht für mich schon länger einen
geringen Wert, da sie durchaus meist willkürlich sind und oft genug nur einseitig
gelten sollen.

Gruss
 
Ich persönlich sehe das Ganze ähnlich, wie end4win:

Die Regeln waren vorher klar, auch wenn sie vielleicht fragwürdig sind. In wie weit dann jedoch eine so hohe Haftstrafe gerechtfertigt ist, ist meiner Meinung nach fraglich. Ich denke, dass diese hier als abschreckendes Beispiel dienen sollte.

Ob die Aktionen von Anonymous sinnvoll sind und irgend eine Auswirkung haben, ausser, dass die entsprechenden Gesetze im Zweifel noch strenger ausgelegt werden, wage ich zu bezweifeln. Ich persönlich halte nicht viel davon, auch wenn ich gespannt bin, was jetzt noch passiert.

mfg
justj
 
USDOJ: US Attorney's Office - District of Massachusetts
AARON SWARTZ, 24, was charged in an indictment with wire fraud, computer fraud, unlawfully obtaining information from a protected computer, and recklessly damaging a protected computer. If convicted on these charges, SWARTZ faces up to 35 years in prison, to be followed by three years of supervised release, restitution, forfeiture and a fine of up to $1 million.
und
United States Attorney Carmen M. Ortiz said, “Stealing is stealing whether you use a computer command or a crowbar, and whether you take documents, data or dollars. It is equally harmful to the victim whether you sell what you have stolen or give it away.”
(widerspricht irgendwie der Aussage, dass es "klar war, dass die Tat nicht begangen wurde, um sich finanzielle Vorteile zu beschaffen" )
 
Ganz grundsätzlich muss ich zum Thema Internet-Aktionismus sagen, dass es bedauerlich ist, dass wir in der Gesellschaft langsam die Gesetze und Argumentationsschleifen der ueblichen Lobbyistengruppen annehmen.

Warum sollte eine DDoS Attacke eine Straftat darstellen, wenn eine massenhafte Sitzblockade vor einem Kaufhaus durchaus demokratisches Recht sein kann? Man _kann_ das so sehen, aber es gibt für diese Sicht keine zwingende Notwendigkeit und deswegen habe ich zumindest das Gefühl, dass man es ein Stück weit mit echter staatlicher Willkür zu tun hat, weil die Sichtweise eben _nicht_ alternativlos ist.

Ihr solltet euch klarmachen dass es da sonst niemanden gibt, der solche Fragen in praktischer Weise zur Disposition stellt. Wir sollten Internetaktionsmus als Gegengewicht in einer globalen Welt begreifen, wo Usercommunitys nämlich zum ersten mal in der Geschichte wirklich, direkt und wirksam in der Lage sind "fühlbar" zu werden.

Solche Instrumente haben uns in der Vergangenheit eher gefehlt - und jetzt sollten wir sie uns nicht ausreden lassen.
 
@xrayn

Es dreht sich längst nicht alles um das herunterladen von Musik oder Filmen. Ausserdem darf ruhig nach der Intention unterschieden, denn auch offline kann ich zwischen einer schlichten Sabotage und politischem Protest unterscheiden, wenn auch die Aktion die gleiche ist.

Nimm das Beispiel Mastercard und Wikileaks, wo Mastercard zum Handlanger der Politik und die "offline" Occupy Bewegung. Warum ist der Protest im letzteren Falle berechtigt. Etwa "nur" weil das Ziel keinen finanziellen Schaden davonträgt?

In meinen Augen sind beides legitime Aktionen gewesen indem sich politischer Protest ausdrückt, der in beiden Fällen _höchst_ berechtig war. Ich würde sogar, von Deutschland aus gesehen, behaupten, dass ein solcher Protest verfassungsrechtlich legitimiert ist, denn "eigentlich" sind Politiker dem Wohle des deutschen Volkes verpflichtet und das Wohl des deutschen Volkes haengt auch nicht unwesentlich von der Verteidigung des GG ab.

Und wenn man sich so manche Handlung ansieht, koennte man sich doch gerne mal auf Art 40(4) GG beziehen und zum Knüppel greifen...
 
Auch bei einer Sitzblockade kann eine entsprechende Anzeige erstattet werden. Warum sollte das bei DDoS anders sein?
 
Also lieber Chromatin, anscheinend hast du sehr wenig Demonstrationserfahrung.
Bei einer Sitzblokade bist du sehr schnell von der einfachen Ordnungswidrigkeit
bei einer strafrechtlichen Nötigung und auch der Wechsel zum Landfriedensbruch
ist eher fliessend und kann durchaus auch mal schnell provoziert werden.
Genau so kann spätestens, wenn die Polizei die Auflösung der Blokade anordnet
der Betroffene auch privatrechtlich, nachweisbare Schadensersatzansprüche
geltend machen.
Problematisch bei deiner "virtuellen Sitzblokade" sehe ich zudem, dass davon eben
durchaus nicht nur das entsprechende Ziel betroffen ist, sondern je nach Anbindung
eben auch Unbeteiligte. Da wäre dann eher ein Defacement als Mittel akzeptabel.
Was meiner Meinung nach erschwerend hinzu kommt, man braucht noch nicht mal
eine entsprechende Anzahl an Mitstreitern, sondern kann so was eben durch Nutzung
entsprechender Mittel durchaus alleine durchziehen.

Wie in diesem Fall schön zu sehen ist wäre wohl eher ein Angriff auf Anonymous selbst
und die Presse gerechtfertigt gewesen, wegen absichtlicher Desinformation der
Öffentlichkeit durch Halbwahrheiten.
6 Monate im offenen Vollzug bzw. auf Bewährung sind mit Sicherheit kein Grund
für einen Selbstmord, da liegen die Gründe wohl durchaus woanders.

Gruss
 
Also lieber Chromatin, anscheinend hast du sehr wenig Demonstrationserfahrung.
Bei einer Sitzblokade bist du sehr schnell von der einfachen Ordnungswidrigkeit
bei einer strafrechtlichen Nötigung und auch der Wechsel zum Landfriedensbruch
ist eher fliessend und kann durchaus auch mal schnell provoziert werden.
Genau so kann spätestens, wenn die Polizei die Auflösung der Blokade anordnet
der Betroffene auch privatrechtlich, nachweisbare Schadensersatzansprüche
geltend machen.

Bei der Anzahl der Demos lasse ich es gerne auf einen Vergleich ankommen ;)

Ich weiss, das Sitzblockaden gelost werden und ich weiss auch dass es Konsequenzen haben _kann_. IDR ist das jedoch eher _nicht_ der Fall und wird als (sofern friedlich) Form des erlaubten Protests betrachtet und das ist völlig legitim. In den seltensten Fällen kommen solche passiven Aktionen zu einer Verhandlung.

btw. ich beziehe ich mir hier nicht auf die aktuellen Ereignisse bzlg Anon.
 
Zum einen hinkt dann aber dein Vergleich mit dem Internet gewaltig. Diese "virtuelle Sitzblokade"
könnte eben nicht mal eben aufgelöst werden, mangels Ansprechpartner. Hinzu
kommt bei einer reelen Sitzblokade, die keine Konsequenzen hat, dass eben der Verkehr
oder Passanten über andere Wege relativ problemlos an ihr Ziel kommen können.
Was mir allerdings am Wichtigsten erscheint ist eben auch die Hemmschwelle bei
einer reelen Demonstration/Sitzblokade, diese sind eben meist nicht so spontan
und die Teilnehmer wesentlich informierter über die Gründe, wie bei diesen Anon-aktionen,
deshalb zog ich eben den Bogen zum Topic.

Gruss
 
end4win hat gesagt.:
Wie in diesem Fall schön zu sehen ist wäre wohl eher ein Angriff auf Anonymous selbst
und die Presse gerechtfertigt gewesen, wegen absichtlicher Desinformation der
Öffentlichkeit durch Halbwahrheiten.
Warum? Weder der Vorwurf die Staatsanwaltschaft trüge eine Mitverantwortung am Selbstmord von Aaron Swartz, noch die viel zitierten 35 Jahre Haft, die im schlimmsten Fall gedroht hätten, stammen originär von Anonymous. Beides konnte man der weltweiten Berichterstattung über den tragischen Selbstmord entnehmen. Aber auch die Presse hat sich das nicht einfach aus den Fingern gesogen: Die erwähnten 35 Jahre sind afaik die mögliche Höchststrafe für die Gesamtzahl der Vergehen, die Swartz vorgeworfen wurden. Und die Vorwürfe gegen die Staatsanwältin, ihr "überzogenes" Vorgehen hätte Swartz in den Tod getrieben, stammt ursprünglich von dessen Familie und Freunden (die vermutlich näher dran waren als die Medien, Anonymous oder wir).
Man könnte Anonymous also höchstens vorwerfen, dass sie kritiklos Informationen aus den Medien übernommen haben. Aber genau das machst Du ja auch, wenn Du die nachträglichen Behauptungen der Staatsanwältin als Tatsachen akzeptierst, ohne die Möglichkeit in Betracht zu ziehen, dass es sich dabei ganz oder teilweise um Schutzbehauptungen handelt. Der Tod von Aaron Swartz hat, gerade in der akademischen Welt, hohe Wellen geschlagen und, aus Sicht der Staatsanwältin, ist aus der Chance sich durch die Verurteilung eines prominenten Hackers zu profilieren, plötzlich ein Alptraum geworden - denn plötzlich sah sie sich mit Vorwürfen konfontriert einen sympathischen, intelligenten aber eben auch labilen jungen Mann in den Tod getrieben zu haben. Wann immer sich ein tragisches Unglück ereignet, versuchen im Anschluss alle Beteiligten ihre Hände in Unschuld zu waschen und zu belegen das gerade sie ja nun gar keine Verantwortung tragen. Ich wüsste nicht warum man nicht zumindest erwägen sollte, dass die Staatsanwältin sich jetzt ebenfalls einfach in Schadensbegrenzung übt, sondern behauptet alles was gegen die nachträgliche (Selbst)Darstellung der Staatsanwaltschaft spricht, wären "Desinformationen" oder "Halbwahrheiten"? Die Aussagen der Staatsanwältin sind im übrigen auch längst nicht so eindeutig wie Du zu denken scheinst, bei der TAZ kann man z. B. das darüber lesen:
Staatsanwältin Ortiz gab nun an, die Staatsanwaltschaft habe nie das Höchstmaß gefordert. Sie habe dem Richter in dem Fall eine Gefängnisstrafe von sechs Monaten empfehlen wollen. Dabei habe die Staatsanwaltschaft berücksichtigt, dass Swartz aus seinem Hack keinen persönlichen finanziellen Vorteil ziehen wollte. Der Deal sei jedoch gescheitert.
Man habe den Richter das empfehlen wollen? Es gehört schon ein wenig Wohlwollen dazu, dass nach der heftigen Kritik an ihrem Vorgehen zu glauben, oder? Und was ist das mit dem gescheiterten Deal? Ich bin kein Jurist, aber soweit ich weiß kommt es in den USA zu einem Prozess, wenn kein Deal ausgehandelt werden kann. Das heißt aber auch, das niemand mit Sicherheit behaupten kann, die Sache wäre für Swartz mit sechs Monaten auf Bewährung erledigt gewesen.
Im übrigen kritisieren nicht nur Familie und Freunde das Vorgehen der Staatsanwaltschaft, sondern auch Juristen wie der prominente US Rechtswissenschaftler und Blogger Lawrence Lessig...

Quellen:
https://www.taz.de/Freitod-von-Aaron-Swartz/!109278/
Aaron Swartz: Vorwürfe gegen Staatsanwalt und MIT - Golem.de
Lessig Blog, v2 (englisch)
 
Warum?
Weil eine Organisation, welche die Informationsfreiheit im Internet verteidigt, eben
nicht einer Milchmädchenrechnung aufsitzen darf. Eventuell würde ich von den Leuten
dieser Organisation sogar erwarten, dass sie den bekannten Tatverlauf sich vielleicht
einmal durchgelesen haben und dann soviel Rechtsverstand haben, dass in keinem
der Einzelvorwürfe ein Staatsanwalt die Höchststrafe fordern könnte.
Und ja ich halte es durchaus für ein Verbrechen an der eigenen Intelligenz, solche Vorwürfe
ungeprüft als seriös weiter zu verbreiten.

Allerdings muss ein Staatsanwalt alle möglichen strafbaren Handlungen erst einmal
ermitteln, dazu gehört eben auch dass geprüft werden muss ob hier eventuell versucht
wurde Kapital aus der Handlung zu schlagen und bis zum Beweis des Gegenteils steht
dann erstmal dieser Vorwurf.

Nun zu den Gründen warum ich der Staatsanwältin durchaus glaube das sie diese
besagten 6 Monate angeboten hat. Ganz einfach weil sonst das Dementi der
Anwälte von Swartz bereits überall im Netz aufgetaucht wäre und weil niemand
so bescheuert sein kann sich mit einer solch dreisten Lüge aus der Affäre ziehen
zu wollen (Politiker vielleicht doch).
Übrigens dienen solche Deals dazu Verfahren abzukürzen, nicht zu verhindern und
wenn Swartz's Anwälte ihn abgelehnt haben waren sie wohl der Meinung es geht noch
besser für ihren Mandanten. Andernfalls besteht nur noch die Möglichkeit
das Swartz selbst das Angebot abgelehnt hat. Aber dass die Forderung der
Staatsanwaltschaft dann trotzdem in diesem Bereich gewesen wäre und
nicht auf 35 Jahre gestiegen wäre dürfte wohl jedem halbwegs normal Denkenden
klar sein. Wenn ich das richtig in Erinnerung habe forderten seine Anwälte eine
Strafe auf Bewährung wogegen die Staatsanwaltschaft unter erleichterten Haftbediengungen bot.

Wie gesagt ich bedaure den Tod von Swartz, aber der Zweck heiligt nicht die Mittel
und der Justiz eine Sonderbehandlung für "Gutmenschen" abzuverlangen ist eben
in einem Rechtsstaat nicht möglich.

Gruss
 
end4win hat gesagt.:
Nun zu den Gründen warum ich der Staatsanwältin durchaus glaube das sie diese
besagten 6 Monate angeboten hat. Ganz einfach weil sonst das Dementi der
Anwälte von Swartz bereits überall im Netz aufgetaucht wäre und weil niemand
so bescheuert sein kann sich mit einer solch dreisten Lüge aus der Affäre ziehen
zu wollen (Politiker vielleicht doch).
Nun, nach dem TAZ Artikel hat sie das dem Richter empfehlen wollen - es war zum Zeitpunkt des Selbstmordes also bestenfalls ein guter Vorsatz, den wir einfach mal glauben müssen. Scheinbar war das Angebot von 6 Monate Haft auch Teil eines Deals, den die Staatsanwaltschaft angeboten hat, eines Deals der für Aaron Swartz offenkundig nicht akzeptabel war - sonst wäre der Deal ja wohl nicht geplatzt.
Im übrigen war Lawrence Lessig, auf dessen Blogeintrag "Die Staatsanwaltschaft als Tyrann" ich oben verlinkt habe, einer der Anwälte von Aaron Swartz - das er die Rolle der Staatsanwaltschaft ziemlich kritisch sieht, wird in seinem Blog klar.

Das es eine deutliche Diskrepanz zwischen den jüngsten Äußerungen der Staatsanwältin, man habe selbstverständlich berücksichtigt das Swartz sich nicht habe bereichern wollen, und früheren Äußerungen und der Klageschrift gibt, hat CDW eigentlich schon deutlich gemacht. Aber zur Erinnerung hier noch einmal entsprechende Zitate:
A federal indictment unsealed today, charges a Cambridge man with computer intrusion, fraud, and data theft in computer hacking incidents that targeted the Massachusetts Institute of Technology and JSTOR, a not-for-profit archive of scientific journals and academic work. AARON SWARTZ, 24, was charged in an indictment with wire fraud, computer fraud, unlawfully obtaining information from a protected computer, and recklessly damaging a protected computer. If convicted on these charges, SWARTZ faces up to 35 years in prison, to be followed by three years of supervised release, restitution, forfeiture and a fine of up to $1 million.
Und das hat die Staatsanwältin Carmen M Ortiz damals persönlich gesagt:
“Stealing is stealing whether you use a computer command or a crowbar, and whether you take documents, data or dollars. It is equally harmful to the victim whether you sell what you have stolen or give it away.”
Quelle: USDOJ: US Attorney's Office - District of Massachusetts

Das sind nicht die Medien oder Anonymous, die hier von 35 Jahren Haft reden...;) Und Stehlen ist stehlen, hm? Wenn man sich dieses Zitat anschaut, wird schon eher klar, was die Hinterbliebenen von Swartz in ihrer offiziellen Stellungnahme zu dieser Aussage brachte:
Aaron’s death is not simply a personal tragedy. It is the product of a criminal justice system rife with intimidation and prosecutorial overreach. Decisions made by officials in the Massachusetts U.S. Attorney’s office and at MIT contributed to his death. The US Attorney’s office pursued an exceptionally harsh array of charges, carrying potentially over 30 years in prison, to punish an alleged crime that had no victims.
Quelle: Official Statement from the family and partner of Aaron Swartz - Remember Aaron Swartz

Wie man gerade auf Telepolis erfahren kann, sollte Swartz ursprünglich nur verwarnt werden - bis Carmen Ortiz den Fall übernommen hat:
Dem bekannten Rechtsanwalt Harvey Silverglate zufolge sollte der am 11. Januar durch Selbstmord aus dem Leben geschiedene Internetaktivist Aaron Swartz nach dem Willen der örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden für den rechtlich umstrittenen massenhaften Download von Artikeln aus der JSTOR-Datenbank lediglich verwarnt werden. Erst als die Bundesstaatsanwältin Carmen Ortiz den Fall übernahm, drohte sie mit einer langjährigen unbedingten Gefängnisstrafe. Diese Drohung war nach Ansicht von Aarons Vater Robert Swartz ursächlich für den Tod seines Sohnes verantwortlich.
Quelle: Carmen Ortiz unter Druck | Telepolis

Der Strafrechtler Orin Kerr kommt in einer Analyse zwar zu dem Schluss das sechs Monate Haft eine angemessene Strafe gewesen wären, aber auch das die Staatsanwaltschaft zuvor versucht habe Swartz einzuschüchtern:
Im zweiten Teil seiner Analyse kommt Kerr allerdings zu dem Schluss, dass die Drohungen gegenüber Swartz unverhältnismäßig waren und Swartz vor Beginn des Prozesses einschüchtern sollten.
Quelle: US-Juristen debattieren "Aaron's Law" | heise online

Aber nicht nur Netzaktivisten, Freunde und Familie sehen eine Mitschuld der Justiz bei dieser Tragödie - selbst Kongressabgeordnete scheinen das so zu sehen:
Zoe Lofgren, Kongressabgeordnete aus dem Silicon Valley, hält die Anti-Hacker-Gesetze in den USA, mit denen die Staatsanwaltschaft gegen den Internetaktivisten Aaron Swartz vorging, für zu weitreichend. Die Strafverfolger hätten die eher vagen Formulierungen der Gesetze genutzt, um eine Verletzung der Nutzungsbedingungen als Verstoß gegen den Computer Fraud and Abuse Act (CFAA) auszulegen. Diese Auslegung des Gesetzes sei geeignet, um viele Internetnutzer zu kriminalisieren und haarsträubend schwere Strafen zu verhängen, erklärte Lofgren auf der von Swartz mitgegründeten Website Reddit.
Quelle: Aaron Swartz: US-Kongressabgeordnete fordert "Aaron's Law" - Golem.de

Ich bin sicher das die Staatsanwältin weder Swartz Tod wollte, noch vorhergesehen hat - ich bin mir aber auch sicher, dass sie jetzt versucht den Druck, den sie aufgebaut hat, zu verharmlosen.
Man kann die Sache jedenfalls sehen wie man will - eine bloße Erfindung der Medien oder von Anonymous sind die Vorwürfe definitiv nicht.

Aber wenn ich mir die Diskussion ansehe, die der Selbstmord ausgelöst hat, die Debatte über zu weitreichende Gesetze und zu harte Strafen und die #pdftribute-Bewegung, dann glaube ich fast das selbst aus einer Tragödie etwas gutes entstehen kann...:)
 
Zuletzt bearbeitet:
Aber wenn ich mir die Diskussion ansehe, die der Selbstmord ausgelöst hat, die Debatte über zu weitreichende Gesetze und zu harte Strafen und die #pdftribute-Bewegung, dann glaube ich fast das selbst aus einer Tragödie etwas gutes entstehen kann...:)

Ein junger Mann hat etwas getan, wovon er offenbar die Konsequenzen nicht einschätzen konnte, was zu seinem Tod führte (egal auf welchem Weg)... aber Hauptsache ist da kommt was gutes bei raus. Und schon ist dieses aus Unwissenheit sinnlos weggeworfene Leben ein Grund zum Lächeln. :wall: Oder wie soll man den Smiley interpretieren?

Tatsache ist: Wenn seine Anwälte oder wenigstens Lessig (sein angeblicher Mentor) ihn korrekt aufgeklärt hätten, dann hätte er von Anfang an gewusst, dass er garantiert keine 35 Jahre Haft bekommt. Tatsache ist auch, dass die bei einem Deal von der Staatsanwaltschaft angebotene Strafe zumeist nicht sehr weit von jener entfernt ist, die bei einem geplatzten Deal im Endeffekt verhängt wird. Oftmals kommt sogar weniger bei raus, wenn die Anwälte gut sind (der Hauptgrund, wenn Anwälte solche Deals ablehnen). Die Deals sind in erster Linie dazu da Zeit und Prozesskosten zu sparen. Wenn seine Anwälte den Deal also abgelehnt haben, dann rechneten sie mit einer geringeren Strafe bei einem Prozess. Haben sie ihm das etwa nicht gesagt? Tatsache ist weiterhin, dass _alle_ Beteiligten Mitschuld am Tod dieses jungen Menschen tragen... die Anwälte genauso wie die Staatsanwältin, die zuständigen Ermittlungsbehörden genauso wie die Gesetzgeber, die Eltern genauso wie seine "Freunde" (die wussten ja schliesslich seit Jahren, dass er an Depressionen litt und dennoch war er nicht in Therapie obwohl es in den USA sogar eine "National Suicide Prevention Lifeline" für Angehörige und Freunde von depressiven Menschen gibt) und insgesamt eine völlig kranke Gesellschaft, in der es bis heute legitim ist Verdächtige einzuschüchtern. Ich sehe da irgendwie keinen Grund zum Lächeln, selbst (oder schon gar nicht) wenn sein Tod jetzt eine Diskussion angefacht hat, die die Medien eh bald wieder vergessen haben werden.

Ich finde es einfach nur ekelhaft, wie sein Tod jetzt ausgeschlachtet wird um irgendwelche vermeintlichen Verbesserungen zu erzielen. Es ist ja nur ein weiterer Nickname, der aus dem Internet verschwindet... ein paar Daten weniger und ein Wikipedia-Eintrag mehr. Vielleicht sollte man das Hacker Manifesto mal erweitern: We exist without skin color, without nationality, without religious bias, without emotions, without humanity...

Lasst ihn endlich in Frieden ruhen und hört auf seinen Tod zu missbrauchen!
 
Ein junger Mann hat etwas getan, wovon er offenbar die Konsequenzen nicht einschätzen konnte, was zu seinem Tod führte (egal auf welchem Weg)... aber Hauptsache ist da kommt was gutes bei raus. Und schon ist dieses aus Unwissenheit sinnlos weggeworfene Leben ein Grund zum Lächeln. Oder wie soll man den Smiley interpretieren?

Swartz war in einigen Gruppen im Bereich Internet Governance aktiv und bekannt. Und er kannte moegliche Konsequenzen sicherlicher besser als die meisten anderen, weil das Thema bei ihm dayli-business war. Die Annahme da kam ploetzlich etwas ueber ihn, ist nicht richtig, da er in dem Bereich zu den Experten zaehlt. Von daher glaube ich persönlich sowieso, dass diese Geschichte ziemlich wenig mit seinem Freitod zu tun hat - was aber natürlich nicht stimmen muss.

Davon abgesehen bin ich ebenfalls dafür die Diskussion nicht über die Person Swartz zu führen, sondern vielleicht wieder auf den allgemeinen Aktionismus bzlg. Anon und Co. zurückzukommen.
 
bitmuncher hat gesagt.:
in junger Mann hat etwas getan, wovon er offenbar die Konsequenzen nicht einschätzen konnte, was zu seinem Tod führte (egal auf welchem Weg)... aber Hauptsache ist da kommt was gutes bei raus. Und schon ist dieses aus Unwissenheit sinnlos weggeworfene Leben ein Grund zum Lächeln. :wall: Oder wie soll man den Smiley interpretieren?
Informationsfreiheit und freier Zugang zu Informationen, wie z. B. wissenschaftlichen Publikationen, scheinen für Aaron Swartz seinen Leben lang sehr wichtig gewesen zu sein. So wichtig das er dafür sogar bereit war sich über Regeln hinwegzusetzen - was ja letztendlich erst dazu führte, dass er ins Visier der Strafverfolgungsbehörden geraten ist.
Unabhäging davon ob die Art des Vorgehens der Staatsanwaltschaft zu seinem Entschluss, sich das Leben zu nehmen, beigetragen hat, ist es unbestreitbar, dass sein Freitod viele Menschen in aller Welt berührt hat - so sehr das z. B. die #pdftribute-Bewegung entstanden ist, die in Andenken an Aaron Swartz und seine Überzeugungen die verschiedensten Publikationen frei und legal ins Netz stellt. Wenn auch nur ein bisschen was von dem öffentlichen Bild von Aaron Swartz wahr ist, hätte ihm ein solches Projekt vermutlich gefallen. Fast könnte man sagen im Tode hat er das erreicht, woran er im Leben gescheitert ist. Es ist tragisch das Aarron Swartz sich das Leben genommen hat, aber die #pdftribute-Initiative, lässt mich glauben das sein früher Tod vielleicht nicht völlig sinnlos war. Dieser Gedanke, der Umstand das selbst auf einem großen Haufen Bullshit eine schöne Blume wachsen kann, hat mich lächeln lassen...;)

Chromatin hat gesagt.:
Davon abgesehen bin ich ebenfalls dafür die Diskussion nicht über die Person Swartz zu führen, sondern vielleicht wieder auf den allgemeinen Aktionismus bzlg. Anon und Co. zurückzukommen.
Jep, allerdings wurde hier teilweise der Eindruck erweckt Anonymous hätte sich die Vorwürfe gegen die Staatsanwaltschaft aus den Fingern, bzw. den Medien gesogen. Auch im Sinne des Topics fand ich schon wichtig diese Behauptung zu widerlegen. OK, eigentlich hatte CDW das schon sehr viel früher widerlegt - aber sein Posting mit Verlautbarungen der Staatsanwaltschaft, die sehr wohl die 35 Jahre Haft anführen, und einschlägigen Zitaten der Staatsanwältin Carmen M. Ortiz, scheint irgendwie ignoriert worden zu sein.

@topic: Wie sooft sehe ich die Aktion von Anonymous zwispältig. Einerseits haben sie mit Sicherheit für erhöhte Publicity gesorgt und erreicht, dass selbst Leute die sich weder für Themen wie Urheberrechte, Informationsfreiheit, Hacking oder schlichtweg das Internet interessieren, von der Sache erfahren haben. Allerdings dürfte die Aktion für die Debatte um die Gesetzgebung, wie sie z. B. von der US-Kongress Abgeordneten Zoe Lofgren angestoßen wurde, eher kontraproduktiv gewesen sein. Ein "Hacker"-Angriff auf das US-Justizministerium dürfte nicht gerade dazu beitragen, den Computer Fraud and Abuse Act (CFAA) und andere Gesetze zum Missbrauch elektronischer Netzwerke so abzumildern, dass z. B. simple Urheberrechtsverletzungen nicht mehr (wie im Fall Swartz) als schwere Fälle von Computerbetrug und / oder Sabotage behandelt werden dürfen.
Wirklich übel nehme Anonymous aber, dass ihre typisch rowdyhafte Aktion imho den positiven Folgen der unseeligen Angelegenheit, wie der #pdftribute-Initiative, die Aufmerksamkeit stiehlt...X(
 
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