[TdW 72] Hat der Westen seine Ideale begraben?

Nach den Ereignissen der letzten Tage, kann sich das TdW diesmal eigentlich nur mit der Entwicklung in den sogenannten freien westlichen Demokratien beschäftigen - so haben sich die Staaten des ehemaligen Westblocks zumindest genannt, solange ich zurückdenken kann. Früher einmal schien das mehr als eine leere Floskel zu sein - zumindest gab es im Westen keine Mauer und keine Todesstreifen, dafür aber freie Wahlen und Rede-, Presse- & Versammlungsfreiheit. Und natürlich sind all diese Rechte durch Verfassungen, Grundgesetze oder eine Magna Charta verbrieft - wie es sich für ordentliche Rechtsstaaten gehört. Doch was nützen verbriefte Rechte, wenn diese verwässert, eingeschränkt oder schlichtweg missachtet werden?
Es ist schwierig bei Entwicklungen, die ganze Staaten und Gesellschaften betreffen und verändern, einen genauen Zeitpunkt zu benennen, an dem diese Entwicklung ihren Anfang nahm. Doch bezüglich des verhängnisvollen Niedergangs rechtsstaatlicher Prinzipien und freiheitlicher Ideale im Westen, würde ich den 11. September 2001 als einen der entscheidenden Wendepunkte betrachten. Vielleicht werden spätere Generationen die rauchenden Trümmer von Ground Zero auch als das blutige Fanal betrachten, dass den Beginn der post-demokratischen, post-freiheitlichen, post-rechtsstaatlichen Gesellschaftsordnung im Westen markierte.
Die USA - die sich in ihrer eigenen Hymne als land of the free bezeichnen und die sich gern als Musterland für Demokratie, Bürgerrechte & Rechtsstaatlichkeit betrachten - machten mit dem Patriot Act den Vorreiter und schränkte die Rechte amerikanischer Bürger stark ein - während der Handlungsspielraum von Polizeibehörden & Nachrichtendiensten gleichzeitig beträchtlich erweitert wurde. Und viele Staaten des Westens folgten natürlich dem amerikanischen Beispiel. Und als ob die Beschneidung von verbrieften Rechten und die Verschärfung staatlicher Überwachung noch nicht schlimm genug wäre, begann man auch außerhalb gesetzlicher Normen zu agieren - so wurden Menschen aufgrund bloßer Verdachtsmomente entführt, in Geheimgefängnisse verschleppt und ohne Anklage oder anwaltlichen Beistand verhört, gefoltert und teils jahrelang gefangen gehalten. Auch wurden und werden Menschen ohne ordentlichen Prozess gejagt und getötet - zum Beispiel durch Einheiten wie die Task Force 373 oder durch Reaper-Drohnen. Wenn Staaten aber anfangen manchen Menschen Rechte zu verweigern, z. B. indem sie ihnen das Etikett Terrorist verpassen, können die dann noch als rechtsstaatlich bezeichnet werden? Und wer wird als nächstes als Bedrohung für die Gesellschaft eingestuft und entrechtet? Illegale Einwanderer? Obdachlose?
Deutlicher als in den letzten Tagen kann einem gar nicht vor Augen geführt werden, wie sehr sich der Westen verändert hat - aus freiheitlichen Demokratien wurden geradezu Polizei- und Überwachungsstaaten. Bürger werden unter Generalverdacht gestellt, Sicherheitsbehörden sniffen jede Form elektronischer Kommunikation und versuchen alles über jeden zu speichern. Wer das jetzt für völlig übertrieben hält, sollte sich vielleicht mal ein paar Minuten nehmen und sich mit Dingen wie Echelon, INDECT, dem SWIFT-Abkommen oder PRISM befassen. Wer sich ausschließlich für die Lage in Deutschland interessiert, kann sich z. B. mit der Vorratsdatenspeicherung, dem Staatstrojaner und der Bestandsdatenabfrage beschäftigen. Zum Thema Überwachungsstaat ist damit einiges gesagt, aber zu einem Polizeistaat gehört natürlich noch mehr - z. B. durch Polizeigewalt unterdrückte Bürger. Die Bilder aus Frankfurt, wo die Polizei mit Gewalt eine angemeldete und völlig legale Demonstration gestoppt und schließlich aufgelöst hat, kann schon fast Assoziationen eines Polizeistaats wecken - vor allem da die offizielle Rechtfertigung der Polizei für das harte Vorgehen, so gar nicht zu Berichten von Augenzeugen und Journalisten passen will. Es ist auch noch gar nicht lange her, da ist in New York die Polizei mit ähnlicher Härte gegen eine Occupy Wall Street-Demonstration vorgegangen. Zwei wichtige Finanzzentren, zwei gegen die Macht der Finanzlobby gerichtete Protestbewegungen und beide Male beendet die Polizei die Demonstrationen mit unverhältnismäßiger Härte.
Vor diesem Hintergrund stellt das TdW also die Frage: Hat der Westen sein Ideal von freien, demokratischen Rechtsstaaten beerdigt? Oder waren die freien, westlichen Demokratien schon immer mehr Schein als Sein? Oder ist das alles eigentlich halb so wild?

Schließen möchte ich auf jeden Fall mit einem passenden Zitat von Benjamin Franklin:
"Diejenigen, die bereit sind grundlegende Freiheiten aufzugeben, um ein wenig kurzfristige Sicherheit zu erlangen, verdienen weder Freiheit noch Sicherheit."
Mehr zum Thema:
Occupy Wall Street: Polizeibrutalität und Widerstand im Netz - Golem.de
Frankfurt: Schwerverletzte bei Blockupy-Demonstration - Inland - FAZ
Bericht: NSA erhält neben Telefondaten auch Kreditkartendaten | heise online
Enthüllungen über US-Geheimdienste - NSA-Whistleblower geht an die Öffentlichkeit - Politik - Süddeutsche.de
Projekt Prism: NSA spioniert weltweit Internet-Nutzer aus - SPIEGEL ONLINE
Prism: Britischer Geheimdienst soll Zugriff auf NSA-Daten haben - SPIEGEL ONLINE
Gespräch mit Frank Rieger vom CCC: Der Zugriff auf die Informationen ist total - Medien - FAZ
 
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Der sogenannte Westen hat schon immer nur ein Ideal und das heisst Geld. Und das ist keineswegs begraben sondern lebt hoch wie nie zuvor.

Aber was die Freiheit angeht... die gab es auch im Westen nach dem Krieg nicht mehr wirklich. Was in der "Demokratie" der BRD ablief, wurde von den Amerikanern, Franzosen und Briten vorgeschrieben. Wahlen waren auch damals schon nur eine Farce um das Stimmvieh zu beruhigen. Ja, die Überwachung hat zugenommen, weil die technischen Möglichkeiten dies unbemerkt zu tun, gewachsen sind. Den Hang die Bürger zu überwachen hatten die Politiker aber schon immer, weil nur Bürger, die man kontrolliert, eine Machtsicherheit bringen.

Nein, der Westen hat seine Ideale nicht verraten. Es kommt nur durch das Internet mittlerweile mehr an's Licht was die Machthaber für Mist bauen. Unsere Wahrnehmung der Matrix hat sich geändert, aber nicht die Matrix selbst.
 
Solange die Mehrheit des Volkes sich nicht gegen diese Vorgehen auflehnt bzw. diese stumm annimmt, ist die Demokratie weiterhin gewahrt.
Man sollte also davon ausgehen, dass der Überwachungsstaat im Sinne der Mehrheit ist, ansonsten würde es diesen nicht geben.

Vielleicht sollten wir eher an dem Thema Volksaufklärung arbeiten ...
 
Der sogenannte Westen hat schon immer nur ein Ideal und das heisst Geld. Und das ist keineswegs begraben sondern lebt hoch wie nie zuvor.

Ich finde selbst dieses Ideal wurde verwässert, ich dachte immer Kapitalismus bzw. Marktwirtschaft heißt ein Investor nimmt ein Risiko in Kauf darf deshalb den möglichen Gewinn behalten. Aber jetzt lern ich das die Investoren nicht verschreckt werden und daher Risiken verstaatlicht werden und die breite Masse dies per Inflation bezahlen darf. Im Gegenzug wird das Rentensystem massiv gekürzt und man darf selbst versorgen auf einem Finanzmarkt der wohl nur noch der Regel: Kommt drauf an... unterliegt.
Ich denke ein Mensch ist ein Gewohnheitstier und das einzige das wir anstreben ist Beständigkeit daher ist mehr Überwachung auch kein Problem immerhin wird man daran erinnert ständig in Angst vor bösen Männer von wo auch immer zu leben. Aber einfach die Spielregeln zu ändern ist nicht fair!
 
@Xryan

Wenn man eine Nadel im Heuhaufen sucht muss man zuerst diesen auf den Kopf stellen. Die arbeiten mittlerweile nicht mit Samthandschuhen sondern holen gleich den Hammer raus. Abgesehen davon treten die Politiker im Gegensatz zu damals sehr offen auf und haben keine Hemmungen mehr gegenüber ihrer Wähler.

Was kannst du denn noch tun um gehört zu werden, wie ich gelesen habe sinkt die Wahlbeteiligung also fällt logischerweise die Stimmabgabe geringer aus somit haben die großen Parteien keinerlei bedenken und sind sich so ziemlich sicher auch die nächste Legislaturperiode zu überleben.

Und wenn man bedenkt das die Bankenrettung für die Bürger eine Offenbarung gewesen ist - zumindest für mich. Hier konnte man deutlich erkennen wohin der Kurs so mancher Politiker führt, nach Geld und Macht.

Spekulationsgeschäfte und Investition mit hohem Risiko von großen Unternehmen können ungestraft durchgeführt werden, denn die Umverteilung sorgt dafür das die schwächsten dafür zahlen müssen.

Die Freiheit gibt es schon lange nicht mehr - ach was sage ich, dass ist doch nur Propaganda entwickelt von den Mächtigen um ihren Untertanen das Gefühl zu geben das es sie gibt.

Ich kann mich also für zwei Dinge entscheiden, entweder ich gehe in den Untergrund und führe Maßnahmen durch die mir selbst nicht gefallen werden, oder ich hole selbst den Holzhammer raus um auch nur für einen kurzen Augenblick der Freiheit dem Bürger die Augen zu öffnen.
 
Um auch selbst auf die Frage nach den begrabenen Idealen im Titel zu antworten: Ich fürchte der Westen hat seine einstmals noblen Ideale tatsächlich zu Grabe getragen oder doch zumindest offenbart, dass es sich nur im Ideale im philosophischen Sinne handelt - Perfektion die zwar angestrebt, aber nie erreicht werden kann...

Schon die Bezeichnung freiheitliche Demokratien, mit der sich die westlichen Staaten gern selbst titulieren, offenbart die beiden größten Ideale des Westens: Freiheit und Demokratie.

Wie es um die Freiheit bestellt ist, wurde in diesem Thread schon thematisiert und ich möchte diese Entwicklung, frei nach Benjamin Franklin, in einem einzigen Satz zusammenfassen: Wer Freiheit zugunsten von Sicherheit aufgibt, wird letztendlich beides verlieren!

So weit, so schlecht!

Doch was ist mit der Demokratie? Auch bezüglich dieses noblen Ideals war die jüngere Vergangenheit, wie ich finde, recht desillusionierend. Wörtlich betrachtet bedeutet Demokratie soviel wie die Herrschaft des Volkes - in einem demokratischen Staat sollte das Volk also der Souverän sein, von dem alle Macht ausgeht. Doch ist das so? Ich denke spätestens die Banken-, Schulden- und Finanzkrise hat deutlich gezeigt bei wem die Macht wirklich liegt: Die wahre Macht liegt weder beim Volk und auch nicht bei den gewählten Volksvertretern - sondern bei Banken, Hedgefonds und Großkonzernen!
Die Finanzkrise hat das imho sehr deutlich gezeigt: Obwohl Banken, die sich verspekuliert hatten, nicht unwesentlich am Ausbruch der Krise beteiligt waren, wurden sie mit immer neuen Rettungsschirmen aus Steuergeldern vor dem Ruin bewahrt. Eine Bank, die sich so verspekuliert hat, das sie ihre Schulden nicht mehr zahlen kann, wird also vom Steuerzahler gerettet. Und eine Steuerzahler, der seine Kredite bei einer Bank nicht mehr bedienen kann? Der wird enteignet! Besonders in den USA, wo die Banken geradezu leichtfertig mit Krediten um sich geworfen haben und damit die Immobilienblase mächtig augebläht haben, wurden viele Menschen um Haus und Hof gebracht. Diese himmelsschreienden Ungerechtigkeiten waren indes so offensichtlich, dass man sie auch nicht leugnete, sondern offen zugab: Banken waren eben too big to fail. Doch nicht nur das: Wie die Zeit danach zeigte, waren Banken auch too big to jail, denn um welche Verfehlung es auch ging - Banken und Bankster konnten sich stets freikaufen.
Und auch das war wiederum so offensichtlich, dass man es klar benannte - so sagte zum Beispiel der deutsche Ökonom Max Otte im Jahr 2011 auf die Frage ob die Finanzmärkte stärker reguliert und an der Euro-Rettung beteiligt werden könnten:
Das wird politisch an der Finanzoligarchie scheitern, sie ist inzwischen so stark, dass sie immer Mittel und Wege finden wird, sich der Aufsicht zu entziehen, um weiter ihren Zockergeschäften zu frönen. Wir schützen die Reichen, die den Staat gekapert haben.
Tatsächlich ist es in den ach-so-freien westlichen Demokratien sehr gefährlich, die Macht der Finanzoligarchie herauszufordern! Davon können nicht nur Occupy- & Blockupy-Demonstranten von New York bis Frankfurt, die aufgrund fadenscheiniger Begründungen die ganze Härte hochgerüsteter Polizeiapparate zu spüren bekamen, ein Lied singen - da gibt es noch viel gruseligere Beispiele! In Deutschland wird man zum Beispiel schnell als verrückt abgestempelt, wenn man sich der Finanzoligarchie in den Weg stellt. Da gab es zum Beispiel die hessischen Steuerfahnder, die ihren Job zu gut machten und dafür von der CDU-Regierung mit falschen psychologischen Gutachten kaltgestellt wurden:
Die vier geschassten hessischen Steuerfahnder sind aufgrund falscher psychiatrischer Gutachten zwangspensioniert worden. Das ist jetzt von renommierten Psychiatern bestätigt worden, die die vier ehemaligen Beamten im Auftrag des Landgerichts Frankfurt neu begutachtet haben.
[...]
Die Gutachten setzen die hessische Landesregierung unter Druck. Das Land hatte die Steuerfahnder zwischen 2007 und 2009 aufgrund falscher Expertisen des Frankfurter Psychiaters Thomas H. zwangsweise in den Ruhestand geschickt, der den Beamten unheilbare „paranoid-querulatorische“ Störungen attestierte. Sie hatten 2001 mit zahlreichen Kollegen gegen eine Amtsverfügung protestiert, die nach ihrer Ansicht zur Schonung reicher Steuersünder führte.
Quelle: Steuerfahnder-Affäre: Ex-Steuerfahnder waren gesund | Steuerfahnder-Affäre*- Frankfurter Rundschau
In Bayern gibt es den Fall des Gustl Mollath, der die Staatsanwaltschaft über Schwarzgeldgeschäfte informierte in die seine Ex-Frau und die HypoVereinsbank verwickelt waren. Und die Staatsanwaltschaft? Anstatt seinen detailierten Hinweisen nachzugehen, wurde Mollath wegen eines "paranoiden Wahnsystems" zwangsweise in die Psychatrie eingewiesen! Mitterweile haben sich allerdings Mollaths Vorwürfe weitgehend bestätigt und vor allem Dank des unermüdlichen Engagements der Süddeutschen-Zeitung, wird der Fall Mollath jetzt wieder aufgerollt - trotzdem sitzt der Mann seit 2006 in der geschlossenen Anstalt!
Es ist also überaus riskant sich mit den wahren Herren der westlichen Demokratien anzulegen - wer der Finanzoligarchie in die Quere kommt, kann wenigstens mit Polizeiknüppeln, in gravierenden Fällen sogar mit Entmündigung, Abschiebung oder Zwangseinweisung rechnen!
Nicht das Volk regiert in den Demokratien, sondern die Finanzoligarchie, die Wirtschafts-Lobbyisten und die Märkte diktieren die Politik.
In diesem Zusammenhang möchte ich auch noch auf einen bislang scheinbar wenig beachteten Aspekt der Prism-Enthüllung hinweisen: Edward Snowden, der Prism-Whistleblower, war kein regulärer NSA-Agent, sondern eine Art Leiharbeiter. Genauso wie die USA militärische Aufgaben an Söldner outsourcen, vergeben sie nachrichtendienstliche Aufgaben an Miet-Spione. Snowdens eigentlicher Arbeitgeber war die Firma Booz Allen Hamilton, hinter der wiederum die Carlyle-Group, eine der größten Risikokapitalgesellschaften der Welt, steht. Wenn ein relativ unbedeutender Miet-Spion wie Snwoden schon Zugang zu Informationen hat, deren Enthüllung zu einem der größten Skandale der Geheimdienst-Geschichte führt, welchen Gewinn könnte dann erst eine Risikokapitalgesellschaft wie Carlyle erzielen, wenn sie sich Zugang zu den von der NSA gesnifften Daten verschafft?
Aber ganz sicher käme keiner der Miet-Spione auf die Idee seinem eigentlichen Arbeitgeber für Prämien Zugang zu den Daten zu gewähren, oder?

Schließen möchte ich diesmal mit einem Zitat von Max Liebermann, das meine Gefühlslage recht gut widerspiegelt:
„Ick kann jar nich soville fressen, wie ick kotzen möchte.“
 
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OT: Demos heißt vielmehr ,,das Dorf" als ,,das Volk". Die Bezeichnug ,,Volk" geht erst daraus hervor, dass die Demokratie in Griechenland früher pro Polis existierte. Die Gesamtheit EINER Gemeinde war demos, das Volk. Um den wahren Sinn des Wortes zu erhalten, müsste man es demnach mit Dorfvolk oder Gemeindevolk übersetzen, wodurch einem auffallen würde, dass die Demokratie nie für ganze Staaten gedacht war. Die Griechen hatten sich schon was dabei gedacht die Demokratien klein zu halten...

mfg soul
 
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