bitmuncher hat gesagt.:
Mir ist in letzter Zeit bei einigen Recherchen in anderen Themen-Gebieten aufgefallen, dass dort, wo sich die Dialekte erhalten haben (z.B. im ländlichen Bayern oder einigen Dörfern in Brandenburg) auch der Umgang der Menschen untereinander ein anderer ist. Man geht zumeist achtsamer miteinander um und hat durch den Dialekt eine Verbundenheit innerhalb der Gemeinschaft und neben dem Dialekt zumeist auch noch andere gemeinsame Kulturgüter. Diese Verbundenheit geht all jenen Gebieten ab, die sich dem Einheitsdeutsch angepasst haben.
Ich denke hier zäumst Du das Pferd vom falschen Ende auf: Du sagst ja selbst das sich die Dialekte nur in ländlichen Gegenden und Dörfern erhalten haben - also in kleinen, überschaubaren Gemeinden, wo mitunter noch jeder jeden kennen kann. Das der Umgang der Menschen miteinander in so kleinen Gemeinschaften anders ist, als z. B. in den durch Anonymität geprägten Milieus der Großstädte, erklärt sich wohl von selbst. Hier den Gebrauch von Dialekten als Ursache anzuführen, ist meiner Meinung nach eine falsche Schlussfolgerung, die Ursache und Wirkung vertauscht.
Im übrigen klingt hier für mich ein wenig die Sehnsucht eines Großstädters nach ländlicher Idylle durch - doch die verklärte Vorstellung (oder die Erfahrung durch Kurzbesuche) ist meist anders, als die Realität (das Gras ist auf der anderen Seite des Hügels eben immer grüner

). An der Uni habe ich viele Menschen kennen gelernt, die aus solch ländlichen Gegenden in die Stadt gekommen waren um zu studieren und die meisten von ihnen waren heilfroh, der Enge und den Zwängen ihrer dörflichen Gemeinschaften entkommen zu sein (wobei auch hier natürlich das Hügel-Prinzip gilt!). Denn kleine Gemeinschaften bedeuten nicht nur größere Vertrautheit und "achtsameren Umgang" miteinander, sondern als Schattenseite auch größere soziale Kontrolle und damit einhergehend soziale Zwänge. Und die "anderen gemeinsamen Kulturgüter" werden gerade von der Jugend nur zu gern als Zwang empfunden, als Brauchtum, dem man sich nicht entziehen kann, weil das halt schon immer so war. Und wer sich partout nicht anpassen will, der findet sich schnell als Außenseiter wieder.
bitmuncher hat gesagt.:
Im Übrigen will ich der Theorie widersprechen, dass die Dialekte aufgrund der grösseren Vermischung der Bevölkerung verschwinden. Beschäftigt man sich z.B. mit dem Berlin der 20er Jahre, stellt man fest, dass nur wenige Bürger damals tatsächlich ursprünglich aus Berlin stammten. Vielmehr kamen gerade in dieser Stadt die Menschen schon immer aus verschiedenen Gebieten Deutschlands und oft auch aus dem Ausland. Und dennoch setzte sich auch bei den Zugezogenen der Berliner Dialekt immer durch. Man konnte fast von einer Assimilation Zugereister in den Kulturkreis sprechen.
Bei diesen Zugezogenen handelte es sich zum großen Teil um Bauern und Menschen aus ländlichen Regionen, die auf der Suche nach Arbeit in die Stadt kamen. Das Standard- bzw. Schriftdeutsch ist eine Bildungssprache, die damals allein durch schulische Bildung erworben wurde. Die meisten dieser Zugezogenen hatten in der Regel kaum schulische Bildung genossen, hatten zuhause bereits Mundart gesprochen und hatten dann in der Stadt (wo sie zum arbeiten und nicht zum lernen hinkamen) größenteils mit anderen Arbeitern Kontakt, die ihrerseits in der Regel über wenig schulische Bildung verfügten und Mundart sprachen. Das man die Redeweise des sozialen Umfelds im Laufe der Zeit übernimmt, ist nur natürlich.
Aber schon bei den Zugezogenen aus dem Ausland sieht die Sache anders aus: In den 20er Jahren lebten zum Beispiel sehr viele Russen in Berlin, die teilweise ganze Viertel bewohnten, in denen man wochenlang leben konnte ohne auch nur ein deutsches Wort benutzen zu müssen, da es russische Geschäfte, russische Zeitungen und russische Handwerker für alle Bedürfnisse gab. Die nationalkonservativen Zeitungen jener Zeit, sind voller wütender Artikel über "russische Unterwanderung", die Entstehung von "russischen Parallelgesellschaften" mitten in Berlin und düsterer Warnungen darüber das "die" allein aufgrund ihrer hohen Geburtenrate die deutsche Bevölkerung bald zur Minderheit im eigenen Land machen würden. Es kursierte sogar ein zeitgenössischer Witz, wonach sich ein Berliner erhängt hätte, da er am Kurfürstendamm ein Schild mit der Aufschrift
Man spricht auch Deutsch gesehen hatte. Insofern sollte man vielleicht einmal prüfen ob Sarrazins
Deutschland schafft sich ab nicht ein Plagiat von dem Machwerk eines nationalkonservativen Populisten aus den 20er Jahren ist und er lediglich "russisch" durch "türkisch" ersetzt hat...

Ich würde sagen das der Rückgang von Dialekten eher im Zusammenhang mit der Verbreitung von Bildung steht. Im gleichen Maße wie selbst in den abgelegensten ländlichen Regionen und unter den ärmsten Arbeiterkindern in den Städten jeder in den Genuss einer schulischen Bildung kam, hat sich das Standarddeutsch ausgebreitet und begonnen die Mundarten nach und nach zu verdrängen.
bitmuncher hat gesagt.:
Den Verlust der Dialekte können wir erst seit der Wiedervereinigung beobachten. Seit dieser Zeit gilt es als unschick in Gesellschaft Dialekt zu sprechen.
Das gilt dann aber höchstens für Ostdeutschland. Ich bin lange vor der Wiedervereinigung geboren und aufgewachsen, aber weder in meiner Heimatstadt noch in den Kleindstädten und Dörfern der Umgebung wurde Mundart gesprochen (ich muss gestehen ich habe erst durch das Germanistik-Studium überhaupt erfahren das in Westfalen ursprünglich Plattdeutsch gesprochen wurde). Ich habe im Eröffnungsposting geschrieben man müsste sich schon jemanden suchen der vor '45 geboren wurde um westfälisches Platt zu hören und das war durchaus ernst gemeint. Spätestens seit dem Krieg hat das Standarddeutsch das Münsterländer Platt vollständig aus dem Alltag verdrängt.
Allerdings hast Du recht damit das es als unschick galt Mundart zu sprechen - laut meinem Großvater galt so jemand schnell als Bauerntölpel, während das Standarddeutsch als Zeichen von Bildung und Weltgewandheit galt.
bitmuncher hat gesagt.:
Ich finde, dass das sehr wohl in den Politik-Bereich passt, denn ich sehe im Verschwinden der Dialekte und damit der lokalen kulturellen Eigenheiten durchaus auch einen weiteren Schritt in der Gleichschaltung der Bevölkerung. [...]
Somit stellt sich mir natürlich die Frage, ob es nicht sogar gewollt ist, dass sich die Menschen nicht mehr mit ihrer Umgebung identifizieren.
Das suggeriert das der beobachtbare Wandel des Sprachgebrauchs das Ergebnis eines gewollten und gesteuerten Prozesses ist, das halte ich jedoch für völlig abwegig. Wie bluez schon feststellte ist eine Sprache einem stetigen Wandel unterworfen - Sprache verändert sich, passt sich an und ist sogar Modeerscheinungen unterworfen (es gibt z. B. Wörter oder Redewendungen die mal sehr beliebt sind, dann fast völlig oder gar völlig aus dem Sprachgebrauch verschwinden). Eine Sprache die keinen Wandel mehr vollzieht ist ein tote Sprache. Von daher ist es eigentlich völlig normal das sich nicht nur die Sprache selbst, sondern auch das Sprachverhalten der Menschen stetig verändert. Wenn wir uns nur vor Augen halten welche enormen Veränderungen und Umbrüche Deutschland und die Gesellschaft allein in den letzten 100 Jahren durchgemacht hat (in der Zeit war Deutschland ein Kaiserreich, eine Republik, eine Diktatur, dann zweigeteilt und schließlich wiedervereint, ursprünglich ein Agrarstaat, dann eine Industrienation, neuerdings auch gerne ein Hochtechnologiestandort oder eine Dienstleistungsgesellschaft), dann darf man sich eigentlich nicht darüber wundern, dass auch der Sprachgebrauch starken Veränderungen unterworfen ist...

Außerdem bedeutet der Rückgang von gesprochener Mundart ja nicht automatisch einen Verlust von regionaler Identität. Zum einen kennt auch das Standarddeutsch regionale Eigenheiten (das gesprochene Standarddeutsch im Ruhrpott unterscheidet sich z. B. deutlich von dem gesprochenen Standarddeutsch im Großraum Frankfurt), zum anderen gehört mehr zur regionalen Verbundenheit, als ein gemeinsamer Dialekt. Aber genau wie Sprache, unterliegt auch das, was aus den Menschen einer Region eine Gemeinschaft macht, einem stetigen Wandel. Als Dortmunder fällt mir da natürlich direkt der BVB ein: Seit gut hundert Jahren sorgt der Verein für ein starkes Zuammengehörigkeitsgefühl in der Stadt und dem Umland. Vor 1909 hätte das kein Dortmunder begriffen, heute ist es fester Bestandteil der lokalen Identität. Und die Tatsache das auch meine beiden aus Griechenland und Polen stammenden Nachbarn ihre Balkone mit BVB Fahnen schmücken (wir waren auch schon gemeinsam im Stadion), zeigt das der Verein nicht nur zu Identifikation, sondern auch zur Integration taugt. Außerdem findet an an diesem Wochenende auf dem Alten Markt in der City das Pfefferpotthast-Fest statt, ein traditionelles Fest, dessen Wurzeln in einer mittelalterlichen Begebenheit (einem gescheiterten Verrat) liegen - obwohl es immer wieder einmal Unterbrechungen gab, wird dieses Fest(essen) doch seit dem Mittelalter zelebriert. Man sieht also das manche Traditionen erhalten bleiben, manche verschwinden komplett oder werden durch neue Dinge ersetzt, die im Lauf der Zeit ebenfalls zu Tradition werden. Das ist aber kein gesteuerter Prozess, keine "Gleichschaltung" - das ist einfach der Lauf der Welt...

Wo Leben ist, gibt es Veränderungen. Wo sich nichts verändert und alles in Traditionen erstarrt ist, gibt es kein echtes Leben.
xrayn hat gesagt.:
Eine gemeinsame Sprache fördert den Umgang untereinander und steht diesem nicht im Wege. Ich kann das zwar nicht beweisen, aber ich würde wetten, dass es auf der Welt nur so viele Konflikte gibt, weil wir keine gemeinsame Sprache sprechen
Beweisen kann ich das zwar auch nicht, aber ich teile Deine Einschätzung. Allerdings wer braucht schon Beweise, wenn er sich auf die Bibel berufen kann?
Genesis 11 hat gesagt.:
1Die Menschen hatten damals noch alle dieselbe Sprache und gebrauchten dieselben Wörter. 2Als sie nun von Osten aufbrachen, kamen sie in eine Ebene im Land Schinar
* und siedelten sich dort an
[...]
4Sie sagten: »Ans Werk! Wir bauen uns eine Stadt mit einem Turm, der bis an den Himmel reicht! Dann wird unser Name in aller Welt berühmt. Dieses Bauwerk wird uns zusammenhalten, sodass wir nicht über die ganze Erde zerstreut werden.«
5Da kam der HERR vom Himmel herab, um die Stadt und den Turm anzusehen, die sie bauten.
6Als er alles gesehen hatte, sagte er: »Wohin wird das noch führen?
Sie sind ein einziges Volk und sprechen alle dieselbe Sprache. Wenn sie diesen Bau vollenden, wird ihnen nichts mehr unmöglich sein. Sie werden alles ausführen, was ihnen in den Sinn kommt.«
7Und dann sagte er: »Ans Werk! Wir steigen hinab und verwirren ihre Sprache, damit niemand mehr den anderen versteht!«
8So zerstreute der HERR sie über die ganze Erde und sie konnten die Stadt nicht weiterbauen.
9Darum heißt diese Stadt Babel, denn dort hat der HERR die Sprache der Menschen verwirrt und von dort aus die Menschheit über die ganze Erde zerstreut.
*scnr*