Chromatin hat gesagt.:
Rechtspopulismus funktioniert erst einmal deswegen, weil die Gründe, auf die sich die Argumente beziehen, vorhanden sind. Das ist insofern logisch, weil in dieser Welt ja nichts passiert ohne Grund (um auch mal dem kausal gesteuerten Atheisten einen Punkt zuzuschieben).
Ich denke Rechtspopulismus funktioniert vor allem aus drei Gründen:
1. Der vermutlich wichtigste Grund warum der rechtspopulistische Evergreen (Propaganda gegen Ausländer/Einwanderer) so erfolgreich ist, ist schlichtweg die Tatsache das er die latent in uns allen schlummernde Fremdenfeindlichkeit bedient.
Diese Fremdenfeindlichkeit ist ein evolutionspsychologisches Erbe aus grauer Vorzeit, als der Mensch (bzw. dessen Vorfahren) noch in kleinen Gruppen als nomadisierende Jäger & Sammler durch Gegend zogen. In dieser Zeit waren Fremde, also andere menschliche Gruppen, tatsächlich eine Bedrohung, weil sie die gleiche biologische Nische besetzten und es auf die gleiche Nahrung, die gleichen Ressourcen und die gleichen Lagerplätze abgesehen hatte. Wir Menschen sehen uns zwar, abhänging von der eigenen Weltanschauung, wahlweise gerne als Gottes Ebenbild oder die Krone der (evolutionären) Schöpfung auf Erden, nüchtern betrachtet sind wir jedoch einfach Primaten (bzw. eine Primaten-Familie) - also hochentwickelte, soziale (Menschen)Affen. Und als Primaten gehören wir zu der Sorte Tiere, die ihr Revier auch gerade gegen Artgenossen (also intraspezifisch) aggressiv verteidigt und dabei auch tödliche Gewalt anwendet. Die latent in uns allen schlummernde Fremdenfeindlichkeit dürfte also ein archaisches Erbe sein, dass tief in unserem Primatengehirn verwurzelt ist. Ein Beleg dafür das diese Theorie nicht völlig aus der Luft gegriffen ist, ist eine Entwicklungsphase bei Kleinkindern die man als
Fremdeln bezeichnet. In dieser Phase zeigen die Kleinkinder plötzlich Angst und Misstrauen gegenüber unvertrauten Personen. Auch dieses Verhaltensmuster ist ein archaisches Erbe, denn Kindstötungen (bzw.
Infantizid) kommt bei allen Primaten vor. Ich denke das sowohl die Fremdenfeindlichkeit, als auch das Fremdeln eine evolutionspsychologische Altlast sind.
In einem anderen Thread habe ich Fremdenfeindlichkeit daher schon einmal mit dem Blinddarm verglichen: Steckt in uns allen, erfüllt schon lange keinen sinnvollen Zweck mehr und macht mitunter enormen Ärger...
Dazu kommt das psychologische Studien den Grundstein für die Entwicklung von ethischen Vorurteilen im Kindesalter sehen:
Eine Auswertung von 113 Studien weltweit habe ergeben, dass Kinder vor allem im Alter von fünf bis sieben Jahren verstärkt ethnische oder nationale Vorurteile entwickeln.
[...]
Das Grundschulalter sei deshalb eine kritische Zeit, in der sich Vorurteile festigen können, erklärte Beelmann. "Wenn es keinerlei Kontakt zu sozialen Fremdgruppen gibt, kann man auch keine persönlichen Erfahrungen machen und hält an pauschalen negativen Bewertungen länger fest."
Das erkläre die oft hohe Fremdenfeindlichkeit in Regionen mit wenig Ausländern. Einmal entstandene Vorurteile könnten so auch in späteren Lebensjahren auf hohem Niveau relativ konstant bleiben.
Quelle:
Psychologe: Fremdenfeindlich wird man schon als Kind
Bei der latent in allen Menschen schlummernden Fremdenfeindlichkeit haben wir es also mit einem Phänomen zu tun, dass auch und gerade unabhängig von rationalen Argumenten existiert - zum einen als primitives Erbe unserer Vorfahren, zum anderen aufgrund der Erfahrungen (bzw. des Mangels an Erfahrungen) während einer bestimmten kindlichen Entwicklungsphase.
2. Der zweite Grund warum Rechtspopulismus funktioniert ist, meiner Meinung nach, dass er bewusst mit Ängsten spielt. Es gibt einige Ängste die mehr oder weniger alle Menschen miteinander teilen, z. B. die Angst Opfer einer Gewalttat zu werden, Verlustängste (z. B. die Angst geliebte Menschen zu verlieren) oder Existenzängste (z. B. die Angst vor sozialem Abstieg & sozialen Notlagen). Es ist sehr viel leichter Menschen über Emotionen (vor allem so starke Emotionen wie Ängste) zu manipulieren, als über Argumente zu überzeugen.
Der Rechtspopulismus greift diese Ängste daher geschickt auf und projiziert sie auf eine bestimmte Gruppe. Was für eine Gruppe das ist spielt praktisch keine Rolle, solange es eine Minderheit ist (der Populismus versucht ja eine Mehrheit für sich zu gewinnen). Der Grund warum meistens Ausländer / Einwanderer zum Ziel werden liegt auf der Hand: Zum einen kann man sich hier auf die unter Punkt 1 erläuterte latente Fremdenfeindlichkeit stützen, zum anderen sind Einwanderer / Ausländer natürlich immer in der Minderheit.
Ein Beleg für diese Mechanismen ist für mich der Umstand, dass Rechtspopulisten in unterschiedlichen Zeiten, unterschiedlichen Staaten und mit unterschiedlichen Feindbildern, im Grunde immer die gleiche Rhetorik und (Schein)Argumente verwenden. Für gewöhnlich wird eine Gefahr durch "Überfremdung" beschworen (z. B. durch starke Einwanderung & hohe Geburtenrate), vor Verlust der eigenen Kultur gewarnt und behauptet das "die" bekämpft werden müssen, da sie einem sonst den Job (Existenzangst), die Frau (Existenz- & Verlustangst) und schließlich das Leben (Angst vor Gewalt) nehmen.
Bis hierher habe ich die, meiner Meinung nach, wichtigsten Punkte dafür benannt, warum Rechtspopulismus immer wieder so erfolgreich ist und bis hierher hat nichts davon irgendetwas mit rationalen Argumenten oder tatsächlichen Gegebenheiten zu tun - ich finde das verrät schon viel über das Wesen des Rechtspopulismus.
3. Es gibt aber noch einen Punkt der für den Erfolg von Rechtspopulismus enscheidend ist: Die Gegebenheiten müssen passend sein (diesen Punkt hat Chromatin ja auch angesprochen).
Die unter Punkt 1 und Punkt 2 angesprochenen Ursachen & Mechanismen greifen eigentlich immer, aber damit der Rechtspopulismus wirklich erfolgreich sein kann muss es Krisen geben. Ideal sind z. B. wirtschaftliche Krisen, da Menschen - die ganz real von Jobverlust und sozialen Abstieg bedroht sind - natürlich viel leichter davon überzeugt werden können, dass "die" Schuld sind (z. B. weil sie Jobs klauen in dem sie auch bereit sind für Hungerlöhne zu arbeiten).
Auch muss es eben eine entsprechende Minderheit geben, wenn es z. B. viele Einwanderer einer bestimmten Ethnie gibt, dann gibt es selbstverständlich (schon rein statistisch betrachtet) auch Gewalt- & Straftäter unter dieser Gruppe. Deshalb fördert z. B. die Existenz von "sozialen Brennpunkten", also Vierteln mit hoher Armut und hoher Kriminalität, rechtspopulistische Überzeugungen, da es in solchen Vierteln überdurchschnittlich oft zu Gewalt- & Straftaten kommt und (zumindest in den meisten Großstädten) die Mehrheit der Bewohner einen Migrationshintergrund hat.
Ich persönlich sehe allerdings eigentlich keinen Grund warum ein Strafttäter mit ausländischen Wurzeln, ein größeres Problem als ein Straftäter ohne Migrationshintergrund sein soll. Ich finde halt es gibt keine Probleme mit Ausländern, sondern mit Strafttätern - denn nicht der Umstand das der betreffende Ausländer ist macht ihn zum Problem, sondern das er sich in irgendeiner Weise einer Straftat schuldig gemacht hat...
Chromatin hat gesagt.:
Deine Begründung lautet "Dummheit"? Das ist eine zu einfache Antwort
[...]
Kurzum: Ich halte den "normalen" Menschen, der den Zirkus mitmacht, völlig unabhängig ob Diplom oder Bandarbeiter, für wesentlich schwächer als alle die, die ihre Meinung vertreten. Gerade wenn sie kontrovers sind und _auch_ wenn sie falsch sind.
Eine kontroverse Meinung zu vertreten erfordert durchaus Mut, aber bewusst eine falsche Meinung zu vertreten ist schlichtweg ein Zeichen von Dummheit.
Im Kontext mit dem Rechtspopulismus habe ich ja versucht darzulegen, dass da wenig substanzielles dran ist. Man könnte das mit einem Eisberg vergleichen: Nur die Spitze, die sichtbar aus dem Wasser dem Wasser ragt, hat etwas mit rationalen Überlegungen und realen Begebenheiten zu tun. Viel entscheidender sind die gut 90% die unter der Oberfläche verborgen sind - eben unser archaisches Primatenerbe und in der Entwicklung erworbene Vorurteile.
Daher gibt es vermutlich durchaus einen gewissen Zusammenhang zwische Bildung und der Anfälligkeit für populistische Parolen, denn je höher der Bildungsgrad ist, desto eher neigt man dazu Dinge kritisch zu hinterfragen, bzw. auch die 90% unter der Oberfläche wahrzunehmen.