Um mal auf die Informatik zurückzukommen. Eine Riesenmenge an theoretischem Hintergrund (gerade in der Mathematik) würde beim nicht-akademischen Erlernen auf der Strecke bleiben. Und das ist nunmal die fachliche Kompetenz die dann den Unterschied zwischen einem 08/15 Anwendungsprogrammierer und jemandem der einen kryptographischen Durchbruch oder eine (wirtschaftlich millionenschwere) Laufzeitoptimierung eines Webcrawlers liefert.
Nun, damit sprichst Du mir aus der Seele.
Programmierer, die irgend welche Standard-Anwendungen in der Praxis schreiben, gibt es wie Sand an Meer. Ohne akademischen Hintergrund geraten diese Programmierer nachweislich schnell an ihre Grenzen: Kryptographie, Asymptotik/Komplexitätstheorie, Prädikatenlogik aus dem Bereich der künstlichen Intelligenz, Automatentheorie, Numerik seien nur ein paar solcher Themen einer Liste, die sich beliebig erweitern lässt.
Sourcecode-Analyse und -optimierung, Asymptotik, Performance-Analyse- und -verbesserung gehören zu meinem beruflichen Alltag. Bei Quereinsteigern oder Fachfremden ohne akademischen Hintergrund fehlen ab einer gewissen Programmkomplexität die Grundlagen der Algorithmen und Datenstrukturen, und das ist für einen erfahrenen Analytiker leicht zu erkennen. Hash-Algorithmen, Sortierung von Datenmengen, SQL-Queries, ..., mir begegnen teilweise Dinge bei denen mir einerseits schlecht wird, andernfalls finde ich es faszinierend auf welche (dummen) Ideen so mancher Quereinsteiger kommt um ein Problem lösen zu wollen.
Es gibt Themenbereiche und Aufgabenstellungen, die ohne akademischen Hintergrund nicht zu bewältigen sind, da die Grundlagen fehlen und diese Grundlagen nicht so trivial sind, dass man sie sich nebenher aneignen kann. Ein wissenschaftliches Studium ist mehr als ein Vollzeitjob und bedeutet, dass man sich 4-5 Jahre lang täglich intensiv 8-10 Stunden mit einer hochgradig wissenschaftlichen Materie auseinandersetzt. Diese hohe Zeitanforderung kann man als Nicht-Student nicht jahrelang aufbringen, da der Mensch doch irgendwie arbeiten muss und/oder Familie hat und das Ganze auch sonst ohne Klausurvorbereitung und ohne Professoren schwierig wäre.
Für die Entwicklung kryptographischer Algorithmen ist es erforderlich eine mathematische, umfassende Evaluation in Form einer Kryptoanalyse des dargebotenen Algorithmus durchzuführen. So was kann nicht irgend jemand mit einem Ausbildungsberuf tun, sondern nur jemand, der sich tiefgreifend über viele, viele Jahre mit höherer Mathematik befasst hat. Hier sei mal die Riemansche Hypothese als Beispiel genannt.
Hinzu kommt, dass für viele Positionen ein abgeschlossenes Studium die Mindestvoraussetzung ist. Ohne Studium kann man sich die Bewerbung direkt sparen. Der ganze Spaß geht ja noch weiter. Man darf nicht vergessen, dass es neben der Wirtsschaft noch den wichtigen Bereich der Wissenschaft und Forschung gibt, und ohne Doktortitel wird man in einem wissenschaftlichen Umfeld Gott sei Dank keine seriöse Stelle bekommen können.
Ich habe vor dem Studium eine Ausbildung als Fachinformatiker/Anwendungsentwicklung (bei einer Bank) abgeschlossen. Heute, nach dem Studium, weiß ich als jemand, der Ausbildung und Studium selbst durchlaufen hat und die Unterschiede kennt, dass zwischen einer Ausbildung und einem akademischen Studium an einer Universität Welten dazwischen liegen. Die Inhalte an der Universität sind um ein vielfaches komplexer, wissenschaftlicher, schwieriger/anspruchsvoller und mit nichts außerhalb zu vergleichen.
Ich kann aus eigener Erfahrung als auch aus Erfahrung vieler anderen Kollegen aus den Projekten sagen: Ein Studium lohnt sich in allen Hinsichten und da die Anforderungen der Firmen auch immer höher werden, kann ich nur jedem Jugendlichen nahelegen im Bereich der Bildung keinerlei Abstriche zu machen, sondern sich mit Bildung alle Türen offen zu halten.
Um noch mal endlich auf die Frage einzugehen, ob ein Studium notwendig ist:
Das hängt davon ab, was Du machen möchtest. Wenn Du Web-Designer werden möchtest, wie Millionen andere Menschen, dann bist Du mit einem Studium völlig überqualifiziert
Wenn Du Dir schwierige Themen zutraust und komplexe Lösungen auf einer analytischen Basis erarbeiten möchtest und Interesse daran hast Deine Chancen am Arbeitsmarkt zu maximieren, dann solltest Du unbedingt studieren.