Die Politik & der Terror

bitmuncher hat gesagt.:
Auch historisch bedeutsame Personalakten stehen nicht über dem Gesetz.
Na ja, selbst der BND sagt ja nicht wir haben die Akten aus juristischen Gründen vernichtet, sondern spricht von einem Vorgang der „bedauerlich und ärgerlich“ ist. Man habe die Akten damals als "historisch unbedeutsam" eingestuft...
Vom Chef der Historiker Kommission heißt es dazu:
Dass den Akten „kein bleibender historischer Wert beizumessen gewesen sei, hat sich als nicht stichhaltig erwiesen“, sagte Henke weiter. Personen, die beim sogenannten Englandspiel dabei waren, als die Nationalsozialisten in den niederländischen Widerstand einbrachen, oder als NS-Männer jüdische Synagogen anzündeten, seien historisch betrachtet durchaus wertvoll.
Tja, dumm gelaufen, oder? Übrigens kann man dem von end4win verlinkten Gesetzestext entnehmen das öffentliche relevante Daten auch gesperrt, anstatt gelöscht werden können und das gesperrte Daten wissenschaftlich genutzt werden können:
( 8 ) Gesperrte Daten dürfen ohne Einwilligung des Betroffenen nur übermittelt oder genutzt werden, wenn

1. es zu wissenschaftlichen Zwecken, zur Behebung einer bestehenden Beweisnot oder aus sonstigen im überwiegenden Interesse der verantwortlichen Stelle oder eines Dritten liegenden Gründen unerlässlich ist und[...]
Wissenschaftliches Interesse steht also über dem Interesse des Betroffenen - denn für wissenschaftliche Zwecke dürfen die Daten sogar ohne die Einwilligung des Betroffenen benutzt werden. Genau deswegen verlangen die Historiker in Zukunft vor der Vernichtung von Aken hinzugezogen zu werden:
Die Kommission habe den BND nun aufgefordert, keine Unterlagen mehr ohne Rücksprache mit dem Historikergremium zu vernichten.
Quelle: Geheimdienst-Skandal: BND vernichtete Personalakten früherer SS-Leute - Nachrichten Politik - Deutschland - WELT ONLINE
 
Es wird aber auch nicht gesagt, dass es juristisch nicht an der Zeit war die Akten
zu vernichten.
Daher muss man eben Akten sperren, um sie vor dem normalen Rhythmus der Vernichtung
zu schützen und nicht hinterher heulen. Einfach gesagt hätte er vor dem Termin
die Historiker beauftragen müssen die Personalakten zu sichten und zu beurteilen.
In den meisten Betrieben/Behörden ist die Aktenvernichtung dergestalt, dass alle Ordner mit
entsprechender Jahreszahl rausfliegen, da wird nichts mehr gesichtet. Normalerweise sind die
Beauftragten auch gar nicht qualifiziert und berechtigt in den zu vernichtenden Akten rumzustöbern. :rolleyes:

Abgesehen davon wird es die Arbeit der Historiker höchstens etwas erschweren.
Ich bin mir sicher, dass beim BND und in anderen Archiven die historisch relevanten Teile
der Personalakten nachvollzogen werden können.

Gruss
 
end4win hat gesagt.:
Es wird aber auch nicht gesagt, dass es juristisch nicht an der Zeit war die Akten
zu vernichten.
Lol - sie sagen nicht, dass es juristisch nicht an der Zeit war? Dann muss es wohl an der Zeit gewesen sein...:D
Scherz beiseite, die Tatsache das kein Vertreter des BND die Vernichtung der Akten mit solchen Argumenten verteidigt, sollte Dir zu denken geben. Denkst Du sie räumen lieber einen "ärgerlichen und peinlichen" Fehler ein, als schlüssige Argumente vorzubringen?
Auch der Zeitpunkt sollte einem zu denken geben - mehr als 50 Jahre rühren sie die Akten nicht an, aber genau in dem schmalen Zeitfenster zwischen der Ankündigung Uhrlaus die Nazi-Vergangenheit des BND aufzuarbeiten und der tatsächlichen Einsetzung einer Historiker-Kommission, fällt ihnen plötzlich ein das die Akten schon längst hätten vernichtet werden müssen? Ja, klar...:rolleyes:
Dieser Gedanke ist so abstrus, dass ich mich jetzt mal ein wenig mit der Thematik beschäftigt habe. Recht vielsagend ist dieses Zitat aus dem Archivalia Archiv Blog, auf das ich gestossen bin:
Die Rechtslage ist eindeutig: Nach dem Bundesarchivgesetz entscheidet das Bundesarchiv und nicht die Behörde, was archivwürdig ist. Auch wenn das Politische Archivs des Auswärtigen Amts das anders sieht: Behördenarchive sieht das Bundesarchivgesetz nicht vor.
Oops! Hätte der BND die Akten womöglich gar nicht vernichten dürfen? Das findet sich noch bei Archivalia dazu:
Wenn es in der WELT heißt: "Die Kommission habe den BND nun aufgefordert, keine Unterlagen mehr ohne Rücksprache mit dem Historikergremium zu vernichten.", dann stellt das die Sachlage auf den Kopf. Der BND darf auch mit Zustimmung der Kommission nichts vernichten. Allein das Bundesarchiv entscheidet über die Archivwürdigkeit.

Wie schon bei den Bundeslöschtagen zeigt sich auch hier die Ohnmacht der gesetzlich vorgesehenen Archivare gegenüber mächtigen Behörden, die nach Gutdünken wild kassieren.
Das hat mich neugrierig gemacht, deswegen habe ich mal recherchiert was der BND vom Bundesarchiv und von Bundesarchivgesetz hält und bin auf das hier gestossen:
Das Archiv des Bundesnachrichtendienstes (BND-Archiv) arbeitet nach den Maßgaben des Bundesarchivgesetzes (BArchG) vom 06. Januar 1988 (BGBl. I S. 62), zuletzt geändert durch § 13 Abs. 2 des Informationsfreiheitsgesetzes vom 05. September 2005 (BGBl. I S. 2722). Die dauernd aufzubewahrenden Unterlagen werden frühzeitig gesichert. Beim Ordnen und Erschließen wendet das BND-Archiv die im Bundesarchiv gültigen Grundsätze an. Anschließend werden insbesondere die in Ihrem Erhalt gefährdeten Archivalien konser*vatorisch behandelt.


Gemäß § 2 Abs. 1 BArchG übergibt das BND-Archiv diejenigen Unterlagen, die der Bundesnachrichtendienst zur Erfüllung seiner Aufgaben nicht mehr benötigt, dem Bun*desarchiv in Koblenz als Archivgut des Bundes.
[...]
Archivgut des Bundes kann nach § 5 Abs. 1 BArchG im Bundesarchiv eingesehen und benutzt werden, wenn es älter ist als 30 Jahre. Für Unterlagen, die noch der Geheimhaltung unterliegen, erweitert sich die Frist nach § 5 Abs. 3 BArchG auf 60 Jahre. Bezieht es sich auf natürliche Personen, so darf es nach § 5 Abs. 2 BArchG erst 30 Jahre nach dem Tode des Betroffenen bzw. 110 Jahre nach seiner Geburt durch Dritte benutzt werden.
Und im Bundesarchivgesetz steht recht eindeutig:
§ 2

(1) Die Verfassungsorgane, Behörden und Gerichte des Bundes, die bundesunmittelbaren Körperschaften, Anstalten und Stiftungen des öffentlichen Rechts und die sonstigen Stellen des Bundes haben alle Unterlagen, die sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben einschließlich der Wahrung der Sicherheit der Bundesrepublik Deutschland oder eines ihrer Länder nicht mehr benötigen, dem Bundesarchiv oder in Fällen des Absatzes 3 dem zuständigen Landesarchiv zur Übernahme anzubieten und, wenn es sich um Unterlagen von bleibendem Wert im Sinne des § 3 handelt, als Archivgut des Bundes zu übergeben.
[...]
§ 3

Das Bundesarchiv entscheidet im Benehmen mit der anbietenden Stelle, ob den Unterlagen bleibender Wert für die Erforschung oder das Verständnis der deutschen Geschichte, die Sicherung berechtigter Belange der Bürger oder die Bereitstellung von Informationen für Gesetzgebung, Verwaltung oder Rechtsprechung zukommt.
Da wird der Vorfall doch doppelt "peinlich und ärgerlich": Man hat nicht nur gegen das Bundesarchivgesetz verstoßen, als man es versäumte die Akten dem Bundesarchiv anzubieten - man hat sie auch scheinbar ohne rechtliche Grundlage vernichtet. Aber vermutlich erklärt das, warum niemand sagt dass es juristisch an der Zeit war die Akten zu vernichten...;)

Quellen:
Bundesarchiv - Bundesarchivgesetz
Archivalia: BND vernichtete Personalakten früherer NS-Leute
Bundesnachrichtendienst
 
Immer neue Details lassen die Rolle des Thüringer Verfassungsschutzes in der Angelegenheit NSU immer schlechter, um nicht zu sagen immer zwielichtiger, erscheinen.
So musste der Verfassungsschutz gerade erst einräumen das es eine direkt Geldzahlung an das Terror-Trio gab:
Der Thüringer Verfassungsschutz hat nach einem Bericht der Bild am Sonntag (BamS) erstmals eine direkte Geldzahlung an das Zwickauer Neonazi-Trio Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt eingeräumt. Demnach ließ der Geheimdienst der Terrorzelle, der zehn Morde zur Last gelegt werden, im Jahr 2000 über Mittelsmänner mehr als 2000 D-Mark für gefälschte Pässe zukommen.
[...]
Daher habe der Verfassungsschutz im Jahr 2000 dem NPD-Funktionär Tino Brandt 2000 Mark übergeben, der unter dem Decknamen "Otto" als V-Mann für die Behörde gearbeitet habe. Brandt sollte das Geld dem Bericht zufolge an das seit 1998 gesuchte Neonazi-Trio weiterleiten. Er habe dafür einen weiteren Mittelsmann eingeschaltet. Der Plan sei jedoch gescheitert.

Zwar habe sich das Trio tatsächlich neue Pässe beschafft. Weil der Thüringer Verfassungsschutz die Meldeämter in Sachsen nicht eingeweiht hatte, konnte die rechte Terrorgruppe damit jedoch unerkannt untertauchen.
Quelle: Zwickauer Terrorzelle - Verfassungsschutz finanzierte Neonazis - Politik - sueddeutsche.de

Auch indirekt hat der Verfassungsschutz die Gruppe finanziert, z. B. über Ankäufe ihres Nazi-Monopoly-Spiels:
Die drei mutmaßlichen Rechtsterroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe nannten das Spiel "Pogromly". Mit dem Verkauf des selbstgebastelten Brettspiels, das etwa 100 Mark pro Stück kostete, finanzierte das Trio Ende der neunziger Jahre, während der ersten Zeit im Untergrund, einen Teil seiner Lebenshaltungskosten - und der Thüringer Verfassungsschutz finanzierte das Trio anscheinend mit.
"Etwa zehn Spiele habe ich seinerzeit gekauft", erinnert sich ein ehemaliger V- Mann des Verfassungsschutzes. Mindestens vier Spiele, das bestätigte der Spitzel jetzt der Süddeutschen Zeitung, habe er seinerzeit an seinen Kontaktmann "beim Dienst" verkauft - "der hat mir einige abgenommen", berichtete der Mann der SZ, der jahrelang unter dem Decknamen "Otto" in der rechtsradikalen Szene für den Verfassungsschutz spionierte.
Quelle: V-Mann berichtet - Verfassungsschutz kaufte Spiele von Zwickauer Neonazi-Zelle - Politik - sueddeutsche.de

Die Frage ist wohl ob mit dem Ankauf der Spiele die Zelle unterstützt werden sollte, oder ob die unsäglichen Spiele einfach den Geschmack der Verfassungsschützer trafen - wenn man an den Schlapphut denkt, der bei mindestens einem der Morde am Tatort gewesen sein soll, und wegen seiner strammen rechten Gesinnung in seinem Heimatdorf "Klein Adolf" genannt wird, drängen sich einem da schon unangenehme Fragen auf.

Aber auch das ist noch nicht alles - das bisschen finanzieren von Terror-Zellen könnte man ja noch ignorieren, aber dem Verfassungsschutz reichte das nicht - er hat auch die Polizeiarbeit aktiv sabotiert:
Wie die "Berliner Zeitung" unter Berufung auf Sicherheitskreise berichtet, habe der Verfassungsschutz den Thüringer Neonazi-Anführer Tino Brandt über die gegen ihn gerichteten Observationsmaßnahmen der Polizei auf dem Laufenden gehalten. Brandt war damals als V-Mann für den Verfassungsschutz tätig. Dem Neonazi sei demnach mitgeteilt worden, dass die Polizei ihn aus einer angemieteten Wohnung in der Nähe seines Rudolstädter Hauses heraus überwache. Auch hätten seine Verbindungsleute vom Landesamt für Verfassungsschutz die Fahrzeuge beschrieben, die von dem polizeilichen Observationsteam benutzt wurden. Es sei sogar vorgekommen, dass Verfassungsschützer in ihren Autos die Polizisten verfolgten, die ihrerseits Brandt hinterherfuhren.
Quelle: Neonazi-Überwachung: Verfassungsschutz soll Polizeiarbeit sabotiert haben - SPIEGEL ONLINE - Nachrichten - Panorama

Vor dem Hintergrund wird auch die lustige Forderung unseres Inneministers, die Zusammenarbeit zwischen den Behörden zu intensivieren in das rechte Licht gerückt: Dann kann der Geheimdienst nämlich die Arbeit der Polizei noch viel besser sabotieren und sie noch dazu mit Falschinformationen überschütten.
Ich werde heute jedenfalls ruhig schlafen können, in dem Wissen das effektive und integere Behörden wie der Verfassungsschutz über uns wachen...:rolleyes:

Aber jetzt habe ich soviel auf dem Verfassungsschutz herum gehackt, da will ich doch einmal was positives über sie bringen - nämlich dieses tolle Beispiel wie Menschen mit einem Handicap dort einen Job finden: Auf dem rechten Auge blind | NDR.de - Fernsehen - Sendungen A - Z - extra 3 - Videos
 
Zurück
Oben