Wie stellst du dir denn dieses zeitgemäße Wertesystem vor? Ich habe das Gefühl, dass es immer mehr Leute gibt, die nach Berlin oder nach Brüssel schauen und von der Politik einen großen gesellschaftlichen Entwurf, eine Vision für die Zukunft erwarten. Ich frage mich aber, ob das nicht ein bisschen zuviel verlangt ist.
Momentan verhindert die Politik durch Gesetze ziemlich erfolgreich, dass sich Wertesysteme der Zeit anpassen können. So wird z.B. immer mehr Wert auf Urheberrechte gelegt und dadurch Fortschritt für die gesamte Menschheit eingeschränkt. Ich kenne z.B. genug Leute, die gute Ideen für die Weiterentwicklung von Technologien haben, dies aber nicht machen können, weil ihnen per Gesetz untersagt ist die bestehenden Technologien zu modifizieren und weiterzuentwickeln, da ja irgendwer irgendwelche Rechte/Patente darauf hat. Und "der kleine Mann" kann es sich zumeist nicht leisten sich entsprechende Nutzungsrechte zu kaufen. In meiner Ausbildung als Chemielaborant hatten wir einige gute Ideen, wie man bestimmte synthetische Stoffe hätte für andere Zwecke nutzbar machen können, aber wir konnten dies nicht umsetzen, weil uns Gesetze in Verbindung mit Patenten verboten, diese Stoffe selbst herzustellen um damit zu experimentieren.
Ich erwarte von der Politik also vor allem eine "Vision"... dass sie endlich einsieht, dass die finanziell orientierten Rechte Einzelner nicht über dem Fortschritt der gesamten Gesellschaft stehen dürfen. Wenn sie dann noch einsieht, dass die Rechte auf Privatssphäre und Selbstverantwortung wirklich unantastbar sind, und diese nicht ständig mit Gesetzen unterwandern, wären wir schon einen großen Schritt weiter.
Wo immer aber versucht wurde, den dem Zeitgeist unterworfenen Wertekanon in Gesetze zu gießen, war das über kurz oder lang ein Griff ins Klo. Einerseits, weil Wertmaßstäbe glücklicherweise nicht in Stein gemeißelt sind, und andererseits, weil das immer den faden Beigeschmack hat, dass eine Gruppe der anderen diktiert, was sie für richtig zu halten hat.
Demokratie ist die Ursache dafür, dass eine Gruppe der anderen aufdiktiert, was sie für richtig zu halten hat. Schliesslich bestimmen mehr oder weniger knappe Mehrheiten und oft sogar Minderheiten, was richtig und was falsch ist. Siehe z.B. die Antiraucher-Gesetze in Bayern, wo eine Minderheit bestimmt hat, dass Rauchen in Kneipen nicht mehr erlaubt ist und damit festgelegt hat, dass dies richtig sei. Genauso haben 2 Minderheiten 2009 bestimmt wer uns regieren soll, nämlich jene 34% die CDU gewählt haben und jene 15%, die sich für die FDP entschieden. Und obwohl die SPD weitaus mehr Stimmen als die FDP hatte, bestimmten obskure Koalitionsverhandlungen, dass diese nicht mitregieren dürfen. Sowas kann ich allerhöchstens als Pseudodemokratie bezeichnen und es ist bezeichnend dafür, wie absurd diese sogenannte Parteien-Demokratie ist.
Da aber letztlich jeder Mensch eigene Vorstellungen zum Leben und zur Entwicklung der Gesellschaft hat (zumindest haben könnte), kann es nicht Aufgabe der Politik sein, sich zum Hirten über die vermeintlich meinungslose Masse zu erheben und die Richtung vorzugeben.
Das tut sie aber und genau da liegt das Problem. Sie entwickelt bestehende Gesetze immer weiter anstatt sie von Grund auf zu reformieren. Anstatt immer mehr Wert auf finanzielle/persönliche Rechte Einzelner zu legen, sollten Gesetze und Bestimmungen so gemacht sein, dass sie die Vorteile für die Gesamtgesellschaft als Fokus haben. Das wäre einem Miteinander sicherlich förderlicher, denn aktuell führt die Fokussierung auf Rechte einzelner großteils dazu, dass unsere Gesellschaft sich mehr und mehr zu einem Gegeneinander entwickelt.
Bestenfalls sollte sie ein Gespür für gesellschaftliche Entwicklungen haben und darauf moderierend einwirken. Diskutieren, wie's mit der Gesellschaft weitergehen soll und was man für
wertvoll erachtet, das muss von unten her geschehen. Und das muss sich auch nicht in Gesetzen niederschlagen, sondern vielmehr in Handlungen der Bürger selbst, frei nach dem Motto: Die bessere Welt wird nicht von Politikern gemacht, sondern von denen, die sie gewählt haben - und sogar denen, die sich enthalten
Es muss sich eben doch in den Gesetzen niederschlagen, denn derzeit verhindern viele bestehende Gesetze, dass sich die Gesellschaft in bestimmte Richtungen entwickeln kann und geben somit vor in welche Richtung sie sich entwickeln muss.